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Sozialpolitik Sozialpolitik: Geburt verschieben für Elterngeld?

Von Andrea Barthélémy 28.12.2006, 13:25
«Bestenfalls ein paar Stunden kann man die Geburt mit natürlichen Mitteln nach vorn oder hinten schieben», sagt die Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes. (Foto: dpa)
«Bestenfalls ein paar Stunden kann man die Geburt mit natürlichen Mitteln nach vorn oder hinten schieben», sagt die Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes. (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Nach Warnungen von Ärzten, Mütter würden wegen des Elterngeldes anstehende Geburten künstlich hinauszögern, haben die Grünen eine Übergangsregelung gefordert. Die große Koalitionsollte die «Elterngeldregelung im neuen Jahr rückwirkend reformieren und schnellstmöglich eine Übergangsregelung einführen», verlangte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Krista Sager. Das Elterngeld solle allen jungen Familien unabhängig vom Geburtstermin offen stehen.

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte zuletzt den umstrittenen Stichtag 1. Januar 2007 für den Start des Elterngeldes verteidigt. Zu Jahresbeginn sollen Mütter oder Väter vom Staat einen Lohnersatz erhalten, wenn sie nach der Geburt vorübergehend auf ihren Beruf verzichten. Ärzte berichteten, viele werdende Mütter würden in diesen Tagen versuchen, die Geburt des Kindes künstlich hinauszuzögern.

«Klar, ich hoffe schon, dass mein Kind im neuen Jahr zur Welt kommt. Aber ich werde den Geburtstermin keinesfalls künstlich rauszögern», sagt Miriam Mailahn aus Berlin-Kreuzberg, deren zweites Kind am 6. JanuarTermin hat. Damit dürfte sie vielen werdenden Eltern aus dem Herzensprechen, die um die Jahreswende ein Kind erwarten und je nachEinkommenssituation auf das neue Elterngeld oder das bisherigeErziehungsgeld hoffen. Denn Medizinern, Hebammen und auch erfahrenenEltern ist klar: Das Kind hält sich nur selten an «den Termin»,sondern kommt schlicht wann es will.

«Bestenfalls ein paar Stunden kann man die Geburt mit natürlichen Mitteln nach vorn oder hinten schieben», sagt die Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes, Ulrike von Haldenwang. Alles andere sei medizinisch gar nicht zu verantworten. Und selbst bei traditionellen Hausmitteln, die ein früheres oder späteres Einsetzen der Wehen fördern sollen, wie Sex, Rizinuscocktail, ein Glas Rotwein oder - zum Hinauszögern - Magnesium, bleibe viel dem Glauben überlassen. «Bis heute weiß man ja gar nicht ganz genau, was letztlich den Geburtsvorgang auslöst - aber allen Anzeichen nach geht es vom Kind und nicht von der Mutter aus», erläutert die Schöneberger HebammeAnne Sternberger. Bestenfalls das Vermeiden von Stress oder großerkörperlicher Anstrengung könne einen verfrühten Wehenbeginnverhindern, sagen die Hebammen.

Albrecht Scheffler, Vorsitzender des Berliner Gynäkologen-Verbandes, reagiert sogar unwirsch: «Eine solche Frage nach demHinauszögern der Geburt darf man einem Arzt gar nicht stellen.» Die Gabe von Wehenhemmern etwa ist aus medizinischer Sicht nur bis zur 34. Schwangerschaftswoche ratsam - um die Lungenreifung des Kindes in dieser recht brachial gewonnenen Frist mit Hilfe von Medikamenten voranzutreiben. «Selbst tausende Euro sind es nicht wert, dass man die Gesundheit des Kindes gefährdet, und darum wird es aus ärztlicher Hand dafür keine Hilfe geben», sagt auch der Präsident desBerufsverbands der Frauenärzte, Christian Albring.

Für die Berlinerin Sonja Kastner (34), ist das sowieso kein Thema- obwohl ihr erstes Kind just am 31. Dezember zur Welt kommen soll.«Ich rede ihm zwar jetzt schon gut zu, dass es sich Zeit lässt. Denndas Elterngeld würde mir monatlich 200 bis 300 Euro mehr einbringen.»Trotzdem will sie den Dingen ihren Lauf lassen. «Das Geld stehteindeutig nicht im Mittelpunkt. Ich bin gerade erst mit meinem Freundzusammengezogen und es gibt in der Wohnung noch viel zu viel zu tun,um bis zum Jahresende nur die Beine hochzulegen», sagt dieKommunikationsberaterin.

Für die junge Oberärztin Lucia C., die Vollzeit gearbeitet undeinen für 7. Januar errechneten Entbindungstermin hat, stellt sichdas finanzielle Problem ungleich schärfer: Rund 15 000 Euro gehen ihran Elterngeld verloren, sollte ihr «Küken» noch 2006 schlüpfen. «Ichwerde mich ausruhen, aber nichts Medizinisches unternehmen», sagt siedennoch - auch wenn sie sich wenig über den psychischen Druck ärgert,den sie wegen des Gesetzesstichtages unterschwellig bei sich spürt.

Dabei ist es längst nicht immer so, dass alle Eltern auf eine«späte Geburt» setzen. «Es wird in den Geburtsvorbereitungskursenganz deutlich, in welchen Bezirken sie stattfinden», erzählt Hebammevon Haldenwang. Während im südlichen Schöneberg viele Frauenverdienten und deshalb das am vorherigen Nettogehalt orientierteElterngeld anpeilten, sei die Situation in Kreuzberg ganz anders.«Hier hofft etwa die Hälfte der Frauen auf das bisherigeErziehungsgeld.» Denn das wird bei geringem oder gar keinem Einkommenim Gegensatz zum 300 Euro-Sockelbetrag des künftigen Elterngeldesnicht nur ein, sondern sogar zwei Jahre lang bezahlt.

Mara Kowalewski, die in Berlin Yoga für Schwangere unterrichtet,ergänzt: «Das Elterngeld ist für viele Schwangere, die bald entbindenwerden, schon ein Thema. Einige bangen richtig, aber ich habe nochvon keiner Frau gehört, die wirklich radikalere Dinge unternehmenwürde.» Pläne für Hausgeburten mit fingierten Urkunden oder«geschmierten» Januar-Entbindungen jenseits der polnischen Grenzegehören nach Ansicht der Fachfrauen deshalb eher ins Reich derGerüchte. Und die hochschwangere Oberärztin fügt hinzu: «Klar, wennich vorher um das Elterngeld gewusst hätte, hätte ich mit demSchwangerwerden noch ein paar Monate gewartet. Aber letztlich ist dieAufregung doch Quatsch: Auch bisher sind Kinder ohne Elterngeldgeboren und großgezogen worden - da wird's bei uns doch wohl auchgehen.»