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Türkei-Referendum Recep Tayyip Erdogan: Türkischer Präsident weist Kritik an Referendum zurück

18.04.2017, 06:30
Recep Tayyip Erdogan spricht vor dem Präsidentenpalast in Ankara zu seinen Anhängern.
Recep Tayyip Erdogan spricht vor dem Präsidentenpalast in Ankara zu seinen Anhängern. Presidency Press Service

Istanbul - Nach seinem knappen Sieg beim Verfassungsreferendum hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den landesweiten Ausnahmezustand verlängern lassen. Unter seinem Vorsitz beschloss die Regierung eine Verlängerung um drei Monate, wie Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus sagte.

Am Montagabend waren in Ankara jeweils unter Erdogans Vorsitz zunächst der Nationale Sicherheitsrat und dann das Kabinett zusammengekommen. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu gab der Rat zur Begründung an, der Ausnahmezustand diene „dem Schutz unserer Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Rechte und Freiheiten unserer Bürger“.

Formell muss nun noch das Parlament der umstrittenen Maßnahme zustimmen, das an diesem Dienstag erstmals seit dem Referendum zusammenkommt. Eine Zustimmung gilt als sicher, da Erdogans islamisch-konservative Partei AKP über eine absolute Mehrheit verfügt. Der Ausnahmezustand gilt vorbehaltlich dieses Votums mindestens bis zum 19. Juli. 

Erdogan hatte den Ausnahmezustand nach dem Putschversuch im Juli ausgerufen. Er wurde seitdem zwei Mal verlängert und wäre in der Nacht zu Mittwoch ausgelaufen. Er ermöglicht Erdogan, mit Dekreten zu regieren, die auch ohne Zustimmung des Parlaments in Kraft treten.

Wahlkampf durch Ausnahmezustand behindert

Kritik kam aus der Opposition. Der Abgeordnete Baris Yarkadas von der größten Oppositionspartei CHP warf der Regierung vor: „Sie können dieses Land nicht ohne Ausnahmezustand regieren. Sie sind eine Regierung geworden, die abhängig ist vom Ausnahmezustand.“

Die Opposition hatte Einschränkungen ihres Wahlkampfs vor dem Referendum wegen des Ausnahmezustands beklagt, der unter anderem die Versammlungsfreiheit einschränkt. Auch die internationalen Wahlbeobachter der OSZE und des Europarates hatten kritisiert, unter dem Ausnahmezustand seien Grundfreiheiten eingeschränkt gewesen, „die für einen demokratischen Prozess wesentlich sind“. 

Erdogan spricht von „demokratischster Abstimmung“ aller Zeiten

Nach scharfer Kritik internationaler Wahlbeobachter bezeichnete Erdogan das Referendum in der Türkei als die „demokratischste Abstimmung“ aller Zeiten. Kritik am Wahlprozess wies er als „politisch motiviert“ zurück, als er sich am Montagabend auf den Stufen des Präsidentenpalasts in Ankara von seinen Anhängern feiern ließ.

Der EU drohte Erdogan mit einem zweiten Volksentscheid über den Beitrittsprozess. „Dieses Land hat eine demokratischere Abstimmung gehalten, als sie jemals in irgendeinem anderen Land des Westens gesehen wurde“, sagte Erdogan. Die internationalen Beobachter sollten sich nicht an dem Wettrennen beteiligen, „Schatten auf die Abstimmung zu werfen“, warnte er, nachdem die Opposition eine Manipulation des Volksentscheids kritisiert hatte. Erdogan besuchte zunächst am Montagvormittag in Istanbul die Gräber mehrerer türkischer Herrscher und Politiker, bevor er nach Ankara zurückkehrte.

Erdogan wirbt für die Todesstrafe

Am Flughafen wurde er von jubelnden Anhängern empfangen. Erdogans Weg zum Präsidentenpalast war von tausenden Anhängern gesäumt, die seinem Konvoi zujubelten, der im Schritttempo über die Autobahn fuhr. Erdogan versicherte am Flughafen, nach Inkrafttreten der Verfassungsreform werde „es besser gehen“, zu den Vorwürfen der Opposition äußerte er sich nicht. Als er auf den Stufen seines Palastes vor tausende Anhänger trat, brachte er ein zweites Referendum über den EU-Beitrittsprozess ins Spiel.

Am Vorabend hatte er schon eine Abstimmung über die Todesstrafe vorgeschlagen. In seiner Siegesrede in Istanbul drang Erdogan auf die rasche Wiedereinführung der Todesstrafe. Notfalls würde er ein zweites Referendum darüber ansetzen, sagte er vor jubelnden Anhängern. Paris warnte daraufhin, dies wäre ein Bruch mit den europäischen Werten. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einer „roten Linie“.

Gleichzeitig Proteste gegen Referendum

Nachdem es bereits am Sonntagabend in Istanbul Proteste gegeben hatte, gingen am Montagabend erneut hunderte Menschen im Ausgehviertel Besiktas auf die Straßen, bliesen in Trillerpfeifen und riefen, „Wir wollen keinen Faschismus“. Auch im Stadtteil Kadiköy demonstrierten rund 2000 Menschen gegen Erdogan.

Das Regierungslager hatte den Volksentscheid am Sonntag laut dem vorläufigen Ergebnis mit 51,4 Prozent knapp gewonnen. 48,6 Prozent der Türken lehnten die umstrittenen Verfassungsreform ab. Die beiden größten Oppositionsparteien CHP und HDP kritisierten noch am Abend Unregelmäßigkeiten und forderten eine Neuauszählung eines Teils des Stimmzettel. Der HDP-Sprecher Osman Baydemir sagte am Montag, das Referendum habe „keine demokratische Legitimität“. Der CHP-Vize Bülent Tezcan forderte seinerseits die Annullierung der Abstimmung und kündigte an, notfalls vor das Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen.

Erklärung von Merkel und Gabriel

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) forderten Erdogan in einer gemeinsamen Erklärung auf, einen „respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes“ zu suchen.

Das Ergebnis zeige die tiefe Spaltung der Gesellschaft und bedeute „große Verantwortung für die türkische Staatsführung“. Die Reform erlaubt es ihm künftig, als Präsident wieder einer Partei anzugehören. Die AKP kündigte bereits an, dass Erdogan Ende April in die Partei zurückkehren werde. (dpa, afp)