Putschversuch in der Türkei Putschversuch in der Türkei: Erdogans Gegenoffensive via FaceTime

Berlin - Plötzlich ist da für alle Fernsehzuschauer ein kleiner Bildschirm im großen zu sehen. Die Moderatorin von CNN-Türk hält ihr Handy in die Kamera: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht zu seinen Anhängern. Gerade haben Teile des Militärs gegen ihn geputscht. Doch von seinem Urlaubsort aus richtet er sich mittels Facetime, einer Videotelefonie-Anwendung von Apple, an die Menschen: „Ich rufe unser Volk auf, sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln.“ Dieser Moment dürfte ein Wendepunkt gewesen sein. Die Putschisten sind nicht zuletzt an der mangelnden Unterstützung aus dem Volk gescheitert.
Wer auch immer künftig irgendwo auf der Welt einen Staatsstreich plant, wird sich – wenn er klug ist – an Erdogans Gegenoffensive via Facetime erinnern. Sie macht deutlich: Für einen erfolgreichen Putsch reicht es nicht aus, Regierungsgebäude und Flughäfen zu besetzen sowie Staatssender unter Kontrolle zu bringen. In einer unübersichtlichen Situation kann die Kontrolle über das, was die Bevölkerung erfährt, entscheidend sein. Im Zeitalter sozialer Medien heißt das: Solange ein Präsident sein Handy noch hat, solange hat er auch noch nicht verloren. Jedenfalls wenn er wie Erdogan über viele Anhänger in der Bevölkerung verfügt.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Erdogan seine Macht auch mit Hilfe des Internets retten konnte. Mit Hilfe jener sozialer Medien, die er so oft als schädlich geschmäht und bekämpft hat. Andererseits entspricht das Handeln des Präsidenten durchaus dem instrumentellen Verhältnis, das er zu den sozialen Medien hat. „Das, was Erdogan an den sozialen Medien stört, ist ja nicht die Möglichkeit zur Kommunikation an sich, sondern die Unkontrollierbarkeit“, sagt Kristian Brakel, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Auch Erdogans eigene Parteigänger bedienten sich fleißig der sozialen Medien, ein besonders eifriger Twitterer sei der Bürgermeister von Ankara.
Das Internet ist ein Werkzeug, dessen sich jeder bedienen kann – egal, ob er die Macht innehat, und egal, welche Ziele er verfolgt. Im Arabischen Frühling konnten es die Protestierenden nutzen, um die Menschen gegen autoritäre Herrscher auf die Straße zu bringen. Erdogans repressiver Kurs gegen soziale Medien hat viel damit zu tun, dass sie eine wichtige Rolle bei den Protesten der kritischen Zivilgesellschaft im Istanbuler Gezi-Park spielten. Diese konnten die Nachrichtenlage über soziale Medien verbreiten, als offizielle Nachrichtensender auf Wunsch der Regierung nicht berichteten. Für Erdogan war das Anlass zu größter Beunruhigung. „Seine Vorstellung vom starken Staat ist, dass dieser bestimmt, was den politischen Diskurs ausmacht“, sagt Türkei-Experte Brakel.
Das Sündenregister Erdogans in Sachen Internet ist lang. „Es gibt regelmäßig Abschaltungen verschiedener sozialer Medien“, erklärt Brakel. Er verweist darauf, dass YouTube in der Türkei für längere Zeit blockiert war und auch Twitter – etwa bei größeren Anschlägen – immer wieder gesperrt wird. Oder aber die Übertragungsraten des Internets werden stark reduziert, so dass es unglaublich langsam wird. Wer soziale Medien nutzt, muss zudem vorsichtig sein. Denn es ist bekannt, wie schnell sich der Einzelne den Vorwurf der Präsidentenbeleidigung einfangen kann.
Wird sich jetzt, nachdem Erdogan selbst die Segnungen der freien Kommunikation im Internet kennen gelernt, in der Türkei etwas ändern? Wenn überhaupt, dann werde die Regierungspolitik in Sachen soziale Medien noch restriktiver werden, sagt der Türkei-Experte Brakel. „Erdogan hat nach dem Putsch eine Ausgangsbasis, in der viele, die vorher gegen ein Präsidialsystem waren, es jetzt vielleicht ein wenig anders sehen“, sagt er. Die Regierung werde sich also weiter um Kontrolle der sozialen Medien bemühen. Brakel meint aber auch, man solle nicht vergessen, dass dieser Versuch anachronistisch sei. „Das Internet ist dynamisch. Es finden sich also auch immer neue Möglichkeiten, Zensurmaßnahmen zu umgehen. Gerade junge Türken kennen sich da gut aus.“