SPD Partei sucht Kompass: Sechs Fragen nach dem SPD-Parteitag
Ups! Was auf dem Parteitag in Berlin passiert ist, hatten viele in dem Ausmaß nicht beabsichtigt. Die SPD demütigt ihren Vizekanzler - und muss da jetzt irgendwie rauskommen.

Berlin - Nach diesem Parteitag hat die SPD viel zu verdauen. Das Desaster bei der Bundestagswahl ist noch längst nicht verkraftet: 16,4 Prozent, ein Tiefpunkt der Parteigeschichte. Dann der Schock: Die SPD versetzt dem eigenen Vizekanzler einen Tiefschlag, der selbst seine Kritiker erschreckt. Dann fährt sie auch noch beinahe ihrem beliebtesten Mann, Verteidigungsminister Boris Pistorius, bei der Wehrpflicht in die Parade. Wie sollen die Sozialdemokraten so auf Augenhöhe kommen mit der CDU und Kanzler Friedrich Merz?
Ihre neue Doppelspitze jedenfalls wählt die SPD mit Ergebnissen, die ungleicher kaum sein könnten: Bärbel Bas, die Neue, die Parteilinke mit der traditionellen SPD-Vita, fährt stolz 95 Prozent ein. Lars Klingbeil, der Vizekanzler, der Machtstratege, landet bei unter 65 Prozent - so schlecht war noch kein SPD-Chef, der ohne Gegenkandidaten antrat.
Ist Klingbeil dauerhaft beschädigt?
Das Ergebnis ist eine politische Ohrfeige für den Parteichef. Er hat Vertrauen verloren in den eigenen Reihen: mit seiner rigorosen Personalpolitik nach der Wahl; mit der Strategie, sich auf allen wichtigen Posten mit Vertrauten zu umgeben; damit, dass er die Debatte um die umstrittene Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz lange laufen ließ - genauso wie später die parteiinterne Demontage seiner Co-Parteichefin Saskia Esken. Auf dem Parteitag gibt es immer wieder energischen Applaus für jene, die in Klingbeils Machtkarussell leer ausgingen: neben Esken vor allem Ex-Arbeitsminister Hubertus Heil.
Klingbeil hätte alle Gründe, das Ergebnis persönlich zu nehmen. Doch er macht direkt nach dem Wahlschock klar, dass er seinen Kurs deswegen nicht ändern wird. Pistorius stärkt dem Landsmann aus Niedersachsen den Rücken: „In einem Jahr spätestens, wahrscheinlich schon früher, redet darüber gar keiner mehr, weil wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten so sind.“ Doch Klingbeil wird hart arbeiten müssen, um wieder positiv wahrgenommen zu werden.
Ist Bärbel Bas jetzt die starke Stimme der SPD?
Die Arbeitsministerin hat jedenfalls die volle Rückendeckung der Partei - und sie vertritt Themen, die sozialdemokratischer kaum sein könnten. Niemand hat auf dem Parteitag die Arbeiter-SPD glaubwürdiger dargestellt als die schnörkellos redende Duisburgerin, die seit der technischen Berufsfachschule auch Schweißen kann.
Kurz vor dem Parteitag legte sie einen milliardenschweren Gesetzentwurf für das SPD-Herzensthema sichere Renten vor. Die Delegierten begeistert die einstige Frauenfußballerin auch mit der Kritik, Frauen seien in der Politik „noch zusätzlich diesem sexistischen Müll ausgesetzt“.
All das dürfte Bas helfen, als gleichberechtigte Partnerin des zuvor sehr dominanten Vizekanzlers wahrgenommen zu werden. „Für Alibi-Parität bin ich nicht zu haben“, sagt Bas. Das war durchaus auch als Ankündigung ihres Auf-Augenhöhe-Anspruchs neben dem machtbewussten Klingbeil zu verstehen. Ob sie einander das Rampenlicht gönnen werden, wie in der Parteizentrale kolportiert, bleibt abzuwarten.
Was bedeutet das Parteitagsergebnis für die schwarz-rote Koalition?
Für Kanzler Merz ist Klingbeil der wichtigste SPD-Ansprechpartner - und zugleich mit Blick auf die nächste Bundestagswahl Stand heute der wichtigste Konkurrent. Klingbeils schwaches Ergebnis könnte das Machtgefüge der beiden verschieben, Autorität erschüttern. Merz kann bei strittigen Entscheidungen jetzt stets infrage stellen, ob der SPD-Chef überhaupt die volle Rückendeckung seiner Partei und seiner Fraktion hat. Will die Union ihren Koalitionspartner angreifen, ist Klingbeil die Schwachstelle.
Gleichzeitig steht der Vizekanzler unter dem Druck, jetzt erst recht sozialdemokratische Politik in der Koalition durchzudrücken. Er könnte immer wieder beweisen wollen, dass er das Vertrauen seiner Partei verdient hat. Normalerweise fährt der Finanzminister und Vizekanzler einen eher moderierenden Kurs, jetzt könnten die schwarz-roten Auseinandersetzungen deutlich härter werden. Abzuwarten bleibt dabei, ob Parteitagsstar Bas in ihrem Arbeitsministerium - eine Gesetzesmaschine mit großem Etat - nun SPD pur durchsetzen will.
Hat die SPD ihre Haltung zu zentralen Themen der Koalition verändert?
Am nächsten kam sie dem bei einer Debatte zur Wehrpflicht, wo die Meinungen weit auseinandergehen. In stundenlangen Krisengesprächen wurde hinter den Kulissen verhindert, dass es am Rednerpult zur offenen Feldschlacht zwischen Minister Pistorius und Juso-Chef Philipp Türmer kommt. Am Ende steht ein Kompromiss.
„Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind. Maßnahmen zur Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer wollen wir ermöglichen“, heißt es nun im beschlossenen Text.
Versuche, einen Wechsel zu einem weicheren Kurs gegenüber Russland zu erreichen, verliefen erkennbar im Sande. Offen kritischer wurden aber die Stimmen gegenüber der israelischen Regierung und der Kriegsführung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
„Unsere Solidarität gilt auch den Menschen im Gaza-Gebiet, die nun schon so lange in ihrem eigenen Bereich von einer in die andere Ecke vertrieben werden“, sagte der niedersächsische Ex-Ministerpräsident Stephan Weil, der den Ton gleich am ersten Tag setzte. Sie müssten inzwischen schon Angst haben, „nicht mehr lebend nach Hause zurückkehren zu können, wenn sie morgens versuchen, Lebensmittel zu ergattern“.
Hat die SPD einen Plan für den Weg aus der Krise?
Auf dem Parteitag wollte die SPD ein Aufbruchsignal senden. Doch in vielen Feldern wirkt sie orientierungslos. Viele Reden strotzten vor sozialdemokratischer Rhetorik. „Veränderung beginnt mit uns“, das Motto des Parteitags, ist noch nicht mit Inhalt gefüllt.
Dafür will sich die SPD jetzt zwei Jahre Zeit nehmen und ein neues Grundsatzprogramm entwickeln. Dafür gilt scheinbar: im Zweifel zurück zu den Wurzeln. Es deutet sich an, dass die SPD traditionelle sozialdemokratische Themen in den Mittelpunkt rückt: den Kampf um Industriearbeitsplätze, Respekt für Aufstiegsgeschichten. Dazu eine einfachere Sprache, weniger Floskeln. Das hat man sich zumindest vorgenommen.
Was bedeutet das für die anstehenden Landtagswahlen?
Im nächsten Jahr werden fünf Landesparlamente gewählt - auch in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD mit Alexander Schweitzer und Manuela Schwesig starke Ministerpräsidenten stellt. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Wahlen von der bundespolitischen Stimmung entschieden werden.
Doch letztlich wird es darauf ankommen, ob die SPD mit einem Ruck aus dem Parteitag hinausfindet oder in alte Muster zurückfällt. Heil, ein Verlierer von Klingbeils Personalpolitik, mahnte seine Partei eindringlich, „Streit in der Sache nicht mit autoaggressiver Selbstzerfleischung der SPD verwechseln“. „Keine Kabale“, forderte er, „das hatten wir, das hat uns kaputtgemacht“.