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Ostalgie Ostalgie: «DDR - Ich war dabei» schafft falsches Bild

30.10.2007, 15:12
Zu einer Original-Packung Scheuersand der DDR-Marke «ATA» greift am Mittwoch (05.03.2003) eine Frau in einem Spezialgeschäft für Produkte der ehemaligen DDR im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin-Mitte. Das Interesse am Alltagsleben in der ehemaligen DDR führt zur Zeit zu einer regelrechten «Ostalgie-Welle». (Foto: dpa)
Zu einer Original-Packung Scheuersand der DDR-Marke «ATA» greift am Mittwoch (05.03.2003) eine Frau in einem Spezialgeschäft für Produkte der ehemaligen DDR im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin-Mitte. Das Interesse am Alltagsleben in der ehemaligen DDR führt zur Zeit zu einer regelrechten «Ostalgie-Welle». (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Weil er währenddes Volksaufstands in der DDR am 17. Juni 1953 Gefangene aus einerHaftanstalt in Görlitz befreite, wurde der ehemalige Lehrer vom SED-Staat zu zehn Jahren Haft verurteilt. «Wir waren sechs Mann auf einerZelle von zwei mal vier Metern», erzählt Assmann. «Toiletten gab esnicht. Pro Tag bekamen wir vier Bottiche mit eineinhalb LiternWasser, das musste reichen.»

Die 19 Jahre alte Soja Ghorbani hört zu und blickt etwas verlegenauf den Boden. «Junge Leute wie wir sind gar nicht mehr richtigaufgeklärt über die Geschichte», meint die Schülerin, die gemeinsammit mehr als hundert weiteren Jugendlichen zu einer Diskussion mitOpfern der SED-Diktatur ins Berliner Schloss Bellevue, den Amtssitzdes Bundespräsidenten, gekommen ist. «Ich finde es schwierig, dassheute mit solchen Ostsachen Geld verdient wird, auf Kosten derer, diedamals gelebt haben. Das macht es schwerer, sich zu vergegenwärtigen,was wirklich dort geschehen ist.»

Mit ihren Gedanken bringt Soja Expertenmeinungen auf den Punkt.Junge Menschen in Deutschland wissen nach Ansicht von DDR-Bürgerrechtlern nämlich zu wenig über die Entstehung und Geschichtedes SED-Staats. Viele Jugendliche setzten sich kaum mit denpolitischen Verhältnissen in der DDR oder der Situation der vierMillionen Flüchtlinge auseinander, sagt der Vorsitzende derBundesstiftung Aufarbeitung, Rainer Eppelmann. Fehlendes Wissen abervergrößere die Gefahr, dass die DDR positiver gesehen werde, als siegewesen sei.

Mangelndes Interesse sieht Eppelmann beim Nachwuchs allerdingsnicht: «In dem Augenblick, wo man den Nachgeborenen eine Chance gibt,sich damit zu befassen, ist das für sie spannend und sieinteressieren sich auch dafür.»

Für Bundespräsident Horst Köhler ist eine mögliche Lösung desProblems, häufiger Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen und dieJugendlichen mit ihnen ins Gespräch zu bringen. «Zeitzeugenberichtesind oft anschaulicher und spannender als das, was in denGeschichtsbüchern steht», sagt Köhler. Bis zu 250 000 Menschen seienin den Gefängnissen der sowjetischen Besatzungszone sowie der DDRinhaftiert gewesen. «Die Menschen, die damals aus politischen Gründenverfolgt wurden und die sich gegen die Unterdrücker gewehrt haben,haben Anspruch darauf, dass wir ihnen zuhören.»

Zu erzählen haben die Opfer einiges, wie sich in derDiskussionsrunde zeigt. Auch Günther Schlierf kennt die Gefängnisseder DDR von innen. «Am Schlimmsten waren die Verhöre», sagt der 77-Jährige. «Tagsüber durfte man nicht schlafen, und nachts wurde manverhört.» Schlierf wurde 1948 zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt -weil er als Jugendlicher SPD-Plakate in Ostberlin aufgehängt hatte.«Am Ende habe ich einfach irgendetwas gestanden was sie hörenwollten. Ich konnte nicht mehr.»

Thomas Ammer war Mitbegründer der Widerstandsgruppe «EisenbergerKreis» und deshalb fünf Jahre in DDR-Haft. Sie hätten«staatsfeindliche Flugblätter» verteilt und dabei durchaus Angstgehabt, erzählt er. «Aber wir hatten doch zu unseren Eltern gesagt:Auch wenn ihr keine Nazis wart, habt ihr damals nichts gegen derenVerbrechen getan. Wir wollten auf keinen Fall, das das nochmalpassiert.»