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Niedersachsen Niedersachsen: 22. Februar 1977 veränderte das Leben in Gorleben

Von Dirk Averesch 15.02.2007, 08:49
Plakate neben dem Ortsschild in Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg sind erste Zeichen der Bürgerinitiative gegen den Bau der Atommülldeponie (Archivfoto vom 7. März 1977). (Foto: dpa)
Plakate neben dem Ortsschild in Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg sind erste Zeichen der Bürgerinitiative gegen den Bau der Atommülldeponie (Archivfoto vom 7. März 1977). (Foto: dpa) dpa

Gorleben/dpa. - Von nun an solltenichts mehr so sein wie vorher. Weder im niedersächsischen Wendland,an der Grenze zu den heutigen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt - noch im Leben von Marianne Fritzen.

In den Tagen nach Albrechts Ankündigung drucken Fritzen und ihreMitstreiter Flugblätter, informieren in Sternfahrten die Dörfer rundum Gorleben über die Atompläne und lassen ihre BürgerinitiativeUmweltschutz Lüchow-Dannenberg als Verein eintragen. Mit 53 Jahrenund fünf Kindern wird Fritzen auch noch zur Mutter derProtestbewegung im Wendland. «Für mich ist es, als ob es gesterngewesen wäre», sagt die heute 82-Jährige.

Aktionen werden geplant, Gerichte angerufen und Spendengeldergesammelt. Im März 1977 kommen 20 000 Atomkraftgegner zu einerGroßkundgebung. «Gerade in den ersten Jahren haben wir bis zurkörperlichen Erschöpfung gearbeitet», sagt Fritzen. «Ich weiß auchnicht, woher die Kraft kommt.»

An der Seite der Bürgerinitiative kämpft vom ersten Tag an dieBäuerliche Notgemeinschaft - und mit ihr Eckhard Tietke. Wie vieleandere Landwirte in der Region sieht er im Atommüll eine Bedrohungseiner Existenzgrundlage: «Wir können nicht einfach unsere Äckereinrollen und woanders hingehen.» Als 1979 die ersten Probelöcher fürdas mögliche Endlager im Gorlebener Salzstock gebohrt werden sollen,fackelt Tietke nicht lange. Er und andere Landwirte blockieren mitTraktoren die Ausfahrt des Depots mit den Bohrfahrzeugen, flutenspäter die Bohrflächen mit Jauche. Trecker werden zum Symbol desWiderstandes.

Die Pläne für eine Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben werdennoch 1979 verworfen. Doch der Enthusiasmus der Atomkraftgegner erhälteinen Dämpfer, als die Landeinkäufer des Bergwerk-Betreibers kommen.Viele Bauern und Waldbesitzer verkaufen ihre Grundstücke. Selbst mit800 000 Mark - binnen weniger Tage gesammelt - gelingt es denAktivisten nicht, eines selbst zu erwerben.

Nicht nur die Bohrungen für das Bergwerk gehen weiter, derGemeinderat stimmt auch einem oberirdischen Zwischenlager zu. «Es hatwehgetan, als die Kommunalpolitiker umgekippt sind», sagt MarianneFritzen. «Bevor nicht mit Geld argumentiert wurde, gab es auch keinJa.» 1980 wird ein Bohrloch besetzt, das legendäre Hüttendorf«Republik Freies Wendland» gegründet.

Am 8. Oktober 1984 ist der erste Tag X. Fässer mit schwachstrahlendem Müll rollen in das Zwischenlager Gorleben. Unter demEindruck des Super-GAUs von Tschernobyl 1986 bilden sich immer mehrWiderstandsgruppen. Am 25. April 1995 erreicht aber dennoch auch dererste Castor-Behälter mit stark strahlendem Atommüll dasZwischenlager. «Ein Castor hat das radioaktive Potenzial von 40Hiroshima-Bomben», sagt Tietke. Angst und Ohnmacht greifen imWendland um sich.

In den 90er Jahren kommt es immer öfter zu gewaltsamenZusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei, die dieTransporte mit zehntausenden Beamten sichert. Anschläge aufBahnstrecken und Straßen häufen sich. «Ich war von Anfang an gegenGewalt», sagt Marianne Fritzen. Es sei aber ein Unterschied, objemand friedlich die Transporte blockiere oder Krawall mache.

Heute befürchten die Atomkraftgegner, dass das bereits mitmehreren Kilometern Stollen ausgebaute Bergwerk einer Vorfestlegungauf Gorleben als Endlager gleichkommt. Ans Aufgeben denkt im Wendlandaber niemand - nicht nach 30 Jahren Protest. «Dass daraus eineLebensaufgabe geworden ist, über die man alt und grau wird, konnte jakeiner ahnen», sagt Marianne Fritzen.