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NetzDG NetzDG: Das neue Netz-Gesetz macht sich mit zweifelhaftem Erfolg bemerkbar

Von Melanie Reinsch 04.01.2018, 16:11
Seit bekannt wurde, dass die Daten von 50 Millionen Nutzern zweckentfremdet wurden, steht Facebook im Feuer.
Seit bekannt wurde, dass die Daten von 50 Millionen Nutzern zweckentfremdet wurden, steht Facebook im Feuer. dpa

Berlin - Nachdem der Kurznachrichtendienst Twitter den Account der AfD-Politikerin und Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch gesperrt hat, ist die Debatte um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und um die Meinungsfreiheit neu entfacht. Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte das Gesetz, das Hass und Hetze im Internet eindämmen soll, im vergangenen Jahr trotz massiver Kritik durchgesetzt. Experten befürchteten eine Löschflut und Zensur.

Heiko Maas verteidigt das Gesetz

Am Donnerstag verteidigte der Justizminister das Gesetz erneut: „Die Meinungsfreiheit schützt auch abstoßende und hässliche Äußerungen. Aber: Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief, um Straftaten zu begehen“, sagte Maas der Bild-Zeitung. Soziale Netzwerke müssten sich „wie jeder andere auch an unser Recht halten“, betonte Maas. Facebook, Twitter und Co. sollten kein Interesse daran haben, dass ihre Plattformen für Straftaten missbraucht werden.

Seit dem 1. Januar ist das Gesetz in Kraft – und es tauchen vor allem bei Twitter vermehrt Screenshots auf, die Antworten auf gemeldete Tweets zeigen, weil Kurznachrichten gelöscht oder Accounts gesperrt wurden. Die sozialen Netzwerke bestätigten auf Anfrage dieser Zeitung, dass man Prozesse wegen des NetzDG angepasst habe. „Wir haben unsere Mitarbeiter in den für Deutschland zuständigen Teams geschult, um gemeldete Inhalte entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen bearbeiten zu können“, sagte Anne Laumen von Facebook dieser Zeitung.

Separates Meldeformular bei Twitter

Seit das Gesetz verabschiedet wurde, habe man mit großem Aufwand daran gearbeitet, das Gesetz umzusetzen. So gebe es seit dem 1. Januar beispielsweise ein separates Meldeformular, um Inhalte entsprechend des NetzDG zu melden. „Hassrede zu definieren ist eine Herausforderung und die Unterscheidung zwischen beispielsweise Verleumdung und politischer Satire manchmal nur ein schmaler Grat. Meldungen, bei denen es darauf ankommt, die deutsche Sprache zu verstehen, werden von Muttersprachlern bearbeitet“, sagte Laumen weiter. 

AfD verbreitet gezielt grenzüberschreitende Äußerungen

Beatrix von Storch hatte sich auf Twitter darüber beschwert, dass die Kölner Polizei Informationen unter anderem auf Arabisch verbreitet hatte. Sie schrieb unter anderem von „muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden“. Die Sperrung ihres Accounts sei Folge des „Zensurgesetzes“ von Heiko Maas, behauptete von Storch. Auch AfD-Parteikollegin Alice Weidel traf es inzwischen: Ein Tweet wurde gelöscht. Von Storch und Weidel sehen sich als Zensuropfer.

„Der Tweet von Frau von Storch hat mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz nichts zu tun“, sagte der Würzburger Medienanwalt Chan-jo Jun, der im vergangenen Jahr erstmals Facebook wegen Verleumdung vor Gericht brachte. Hier handele es sich ganz klar um Volksverhetzung. Und das sei ein Straftatbestand. „Wir dürfen hier nicht den Hetzern auf den Leim gehen“, sagte er dieser Zeitung. Tatsächlich erweckt das zeitgleiche Vorgehen etlicher AfD-Politikern, über die sozialen Netzwerke seit Anfang des Jahres massiv und gezielt grenzüberschreitende Äußerungen zu verbreiten und nach deren Löschung auf das „Zensurgesetz von Heiko Maas“ zu schimpfen, wie eine Inszenierung, die die neuen Regularien verunglimpfen sollen.

Die Tücken bei der Durchsetzung des Gesetzes zeigen sich jedoch woanders deutlicher – etwa, wenn es um Satire geht: Auch das Magazin „Titanic“ ist betroffen. Am Mittwoch wurde der Account für den Inhaber gesperrt – das Team parodiert von Storchs Tweets. Das soziale Netzwerk hatte den Zugang gesperrt und für die Rücknahme dieser Maßnahme zur Bedingung gemacht, einen parodistischen Tweet zu löschen. Twitter löschte zudem einen Tweet von Satirikerin Sophie Passmann.

Seitenbetreibern drohen Geldstrafen

DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall kritisiert die Zensur als „vorauseilenden Gehorsam, um mögliche Geldstrafen nach dem NetzDG zu verhindern“. Die Social Media-Verantwortlichen hätten mit ihrem Vorgehen massiv in die Pressefreiheit eingegriffen. „Mit der Zensur gegen Titanic ist genau das eingetreten, wovor wir schon im Gesetzgebungsverfahren gewarnt haben“, so Überall: „Ein privatwirtschaftliches Unternehmen mit Sitz in den USA bestimmt darüber, wie weit Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland reicht. Das ist der Ausverkauf von Grundrechten!“

Laut Gesetz drohen Seitenbetreibern Geldstrafen, wenn sie nicht aktiv werden: Innerhalb von 24 Stunden müssen strafrechtlich relevante Inhalte gelöscht werden. Bei nicht eindeutigen Fällen muss innerhalb von sieben Tagen entschieden werden.

„Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat Fehler“, betonte Anwalt Jun. Vor allem wegen des sogenannten Overblockings, wenn also auf Grund der Sanktionen lieber zu viel als zu wenig gelöscht werde. Gerade bei Twitter habe er schon das Gefühl, dass mehr gelöscht werde und daher auch legale Inhalte darunter fallen könnten. Zudem gebe es keinen Rechtsbehelf für falsche Entscheidungen - zum Beispiel bei einer Accountsperrung. Ein Nutzer könne also nicht dagegen vorgehen. „Falsch wäre es jedoch, das Gesetz deswegen aufzugeben. Wir brauchen eine Regulierung, aber wir müssen das Gesetz nachbessern“, sagt er.

Künast plädiert für spezialisierte Gerichte

Ähnlich sieht es auch die Grünen-Politikerin Renate Künast: „Es geht jetzt darum, die erhaltenswerten Aspekte des Gesetzes wie den inländischen Zustellungsbevollmächtigten, die Transparenzvorschriften und strengere Vorgaben zur Vorhaltung eines Beschwerdemanagements zu konkretisieren“, sagte sie dieser Zeitung. Eine Privatisierung des Rechts könne niemand wollen.

„Wir sollten darum auch zentrale, bundesweit zuständige Gerichte diskutieren. Entsprechend spezialisierte Gerichte könnten für eine schnellere und einheitliche Rechtsprechung sorgen. Klar ist: die Strafverfolgungsbehörden müssen besser ausgestattet werden“, sagte Künast.