Nationalsozialismus Nationalsozialismus: Anna-Luisen-Stift möglicherweise in Euthanasie verstrickt
Bad Blankenburg/dpa. - Das hätten interne Nachforschungen zum 100. Jubiläum des Stiftes im November 2001 ergeben, berichtete Brachmann. Im Unterschied zu anderen Einrichtungen der Diakonie wie dem Marienstift Arnstadt habe der Stiftungsvorstand damals die Verlegung der behinderten Kinder ohne ernsthaften Widerspruch hingenommen. Die dort tätigen Diakonissinnen hätten auffallende Gleichgültigkeit gezeigt. Träger der Stiftung ist das Diakonische Werk Thüringen.
Im vergangenen Jahr hatte die Debatte um die Euthanasie- Verstrickung des Kinderarztes und Ehrenbürgers Yussuf Ibrahim (1877- 1953) in Jena für Schlagzeilen gesorgt. Er hatte damals geistig behinderte Kinder in die berüchtigte «Kinderfachabteilung» nach Stadtroda (Saale-Holzland-Kreis) und damit in den Tod geschickt.
Nach der Aufnahme der Kinder und Jugendlichen in Stadtroda habe sich der damalige Direktor der Landesheilanstalten beim Reichsstatthalter und Leiter des Thüringer Innenministeriums beschwert, dass «die Kinder ein Bild der schwersten Verwahrlosung boten», zitierte Brachmann aus den Forschungsergebnissen. Daraus sei damals der Schluss gezogen worden, dass das Personal völlig versagt habe. 22 Kinder seien wieder nach Bad Blankenburg (Kreis Saalfeld- Rudolstadt) zurückgeschickt worden.
Weitere Recherchen scheinen nach den Worten des Stiftungsdirektors zu belegen, dass geistig behinderte Kinder und Jugendliche nicht nur in Stadtroda, sondern auch im Anna-Luisen-Stift Bad Blankenburg umgebracht wurden. Dafür spreche zum Beispiel die hohe Sterblichkeitszahl von 34 Fällen 1943 sowie Beschwerden eines Arztes und Aussagen einer Zeitzeugin. Zudem seien beide verantwortlichen Schwestern überzeugte NSDAP-Parteigenossinnen gewesen. Eine von ihnen wurde 1950 vor dem Landgericht Gera wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Beweise für eine vorsätzliche Tötung der behinderten Kinder konnten jedoch nicht erbracht werden.
Die Debatte in Jena um den Kinderarzt Ibrahim ist vorerst beendet. Nach einem Beschluss des Stadtrates wird er nicht mehr als Ehrenbürger angesehen. Die Ehrenbürgerschaft war bereits mit seinem Tode erloschen. Die Jenaer Kinderklinik legte den Namen des Arztes ab, und Ibrahim-Straßen in Jena und Gera wurden umbenannt.