1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Missbrauch zu DDR-Zeiten: Missbrauch zu DDR-Zeiten: "Es ging darum Frauen zu disziplinieren"

Missbrauch zu DDR-Zeiten Missbrauch zu DDR-Zeiten: "Es ging darum Frauen zu disziplinieren"

Von Violetta Kuhn 23.02.2017, 09:23
Die Mitgründerin des Vereins "Zeit-Geschichte(n) e.V.", Heidi Bohley, steht vor dem verlassenen Gebäude der ehemaligen Poliklinik Mitte in Halle(Saale).
Die Mitgründerin des Vereins "Zeit-Geschichte(n) e.V.", Heidi Bohley, steht vor dem verlassenen Gebäude der ehemaligen Poliklinik Mitte in Halle(Saale). dpa

Berlin - Diese Fenster waren es, da ist sich Martina Blankenfeld sicher. Hinter diesen Fenstern war sie vor fast 40 Jahren eingesperrt. Hier wurde die damals 15-Jährige in einer DDR-Klinik drei Wochen von Ärzten und Schwestern erniedrigt. Dickes Milchglas und Stahlgitter schirmten sie von der Außenwelt ab.

Martina Blankenfeld, heute 54 Jahre alt, steht vor der ehemaligen geschlossenen Station für Geschlechtskranke in Berlin-Buch im Norden der Hauptstadt. Sie erinnert sich: Als Mädchen hatte sie versucht, sich umzubringen. Sie kam ins Kinderkrankenhaus. Von dort brachten Mitarbeiter des Jugendamts sie nach Buch, ohne dass sie wusste, was mit ihr geschah. Geschlechtskrank sei sie nie gewesen, sagt sie.

Bis 1989/90: Tausende Mädchen und Frauen zu DDR-Zeiten wegen angeblicher Geschlechtskrankheiten eingesperrt

Was Martina Blankenfeld 1978 erlebte, hatte in der DDR System. Bis zur Wende 1989/90 wurden in den sogenannten geschlossenen venerologischen Stationen Tausende Mädchen und Frauen wegen angeblicher Geschlechtskrankheiten eingesperrt.

In nahezu allen größeren Städten gab es die Abteilungen: in Halle, Leipzig, Erfurt, Gera, Dresden, Rostock, Schwerin, Frankfurt an der Oder und eben Berlin. Nur jede dritte eingewiesene Frau war wirklich krank. Das schrieben behandelnde Ärzte schon in den 70er Jahren in einer Fachpublikation.

Frauen zu DDR-Zeiten eingesperrt: Tägliche Demütigung auf dem gynäkologischen Stuhl

Blankenfeld - lange schwarze Haare mit weißen Strähnen in der Stirn, tiefe Raucherstimme - macht es heute nichts mehr aus, nach Buch zurückzukehren. Mit ihrem Hund Max steht sie auf dem ehemaligen Klinikareal. In den herrschaftlichen ehemaligen Krankenhausgebäuden wohnen Familien. Kinder spielen auf den breiten Alleen. An die Scheiben der früheren geschlossenen Abteilung in Haus 14 hat jemand Eisblumen aus Papier geklebt.

Auch wenn an diesem Ort nichts mehr von ihrem Leid zeugt: Blankenfeld erinnert sich genau. An das Eingepfercht-Sein im Sechsbett-Zimmer, an die festgeschraubten Betten, an die tägliche Demütigung auf dem gynäkologischen Stuhl. „Du bist stets in so einer Bedrohung, du kannst nicht nein sagen, du musst das irgendwie aushalten“, sagt sie.

Jeden Tag um sechs Uhr hieß es aufstellen zur Untersuchung. Gesunden wie Kranken wurden vor den Augen der anderen Abstriche entnommen - eine Praxis, die auch schon nach damaligem Wissensstand unsinnig war.

„Ich habe nichts und weiß auch nicht, woher!“, habe sie den Schwestern damals gesagt. Ihre Einwände wurden ignoriert. Das Jugendamt schrieb über sie: „Es bestehen häufig wechselnde sexuelle Kontakte.“ Und das, obwohl sie damals noch nie mit einem Freund geschlafen hatte, wie Martina Blankenfeld erzählt. Der Stiefvater allerdings hatte sie als Kind missbraucht.

„Tripperburg“ in Halle (Saale): Zur Strafe auf dem Hocker schlafen

Was treibt einen Staat dazu, massenhaft Mädchen und Frauen wochenlang und auch ohne medizinischen Grund in Stationen für Geschlechtskranke zu sperren? Der Medizinhistoriker Florian Steger hat die Abteilungen erforscht, mit Dutzenden Betroffenen gesprochen und zwei Bücher zum Thema veröffentlicht. Sein Ergebnis: „Es ging darum, Frauen, die nicht das Idealbild der DDR erfüllten, mit einem sehr restriktiven Reglement, was Belohnung und Bestrafung kannte, zu disziplinieren.“

In manchen Stationen standen die Strafen sogar in der Hausordnung. In Halle an der Saale beispielsweise mussten Frauen, die nicht gehorchten, die Nacht auf einem Hocker im Flur verbringen. Sie wurden allein in eine Zelle gesperrt oder bekamen nichts zu essen.

Im DDR-weiten Schnitt waren die Eingewiesenen 22 Jahre alt, die jüngsten waren 12. Die täglichen gynäkologischen Untersuchungen wurden häufig mit Absicht grob durchgeführt. Zu Erziehungszwecken. Die Frauen bekamen Medikamente, ohne zu wissen, wogegen. Auf eine Entschädigung warten die meisten Insassinnen noch heute.

Behandlung von Geschlechtskrankheiten in der DDR: Rabiates Vorgehen gegen Syphilis und Gonorrhö

Dass streng gegen Geschlechtskrankheiten vorgegangen wurde, war in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nichts Ungewöhnliches. Die Angst vor Gonorrhö und Syphilis, die unbehandelt zu Lähmungen führen kann, saß tief. Die Besatzungsmächte ergriffen daher überall in Deutschland Maßnahmen, um die Ansteckungen einzudämmen. In der Sowjetischen Zone - der späteren DDR - wurden zwischen 1945 und 1947 die rechtlichen Grundlagen für die Zwangsbehandlung von Geschlechtskranken in geschlossenen Stationen geschaffen.

Diese Abteilungen sollten aber das allerletzte Mittel sein - zum Beispiel für Menschen, die eine Behandlung verweigerten. So stand es später auch im DDR-Recht. Doch die Gesetze wurden regelmäßig gebrochen, sagt Steger in seinem Büro am Institut für Medizingeschichte in Ulm, wo er seit vergangenem Sommer lehrt.

„Schwererziehbare“ Jugendliche in der DDR: Herumtreiberinnen werden weggefischt

Teils hätten überforderte Eltern ihre Töchter in den Stationen abgeliefert. „Schwererziehbare“ Jugendliche wurden gebracht, wenn man in den Jugendwerkhöfen, den DDR-Erziehungsheimen, nicht mehr mit ihnen zurechtkam. Frauen wurden als „HwG-Personen“ denunziert, als Personen mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern, und eingewiesen.

Transportpolizisten griffen Jugendliche auf, die an öffentlichen Orten herumhingen, sogenannte Arbeitsbummelantinnen oder Herumtreiberinnen. „Wegfischen“, so beschrieb das ein ehemaliger Bahnpolizist, mit dem Steger für seine Forschung gesprochen hat.

Auch Barbara Ost wurde weggefischt. Laute Technomusik läuft in ihrer Wohnung in Berlin-Schönefeld, als die 59-Jährige die Geschichte ihres Martyriums erzählt. Demnächst steigt ein Fest in ihrer Kleingartenkolonie, dafür sucht sie gerade die Musik zusammen.

Seit sie klein war, hatte ihr alkoholsüchtiger Vater ihre Mutter verprügelt. Die Frau schlug die Kinder. Nach der Trennung der Eltern kam ein neuer Mann, über Jahre missbrauchte er Barbara. „Da bin ich abgehauen von zu Hause, hab' auf der Straße gelebt, hab' im Keller geschlafen, hab' auf dem Dachboden geschlafen“, erzählt Ost.

Eines Tages griffen Polizisten in Zivil die damals 16-Jährige auf. Sie bekam etwas zu trinken und wachte nackt auf der Polizeiwache wieder auf. Vergewaltigt, wie sie sagt. Von dort ging es nach Buch.

Barbara Ost: „Hier kommst du nie wieder raus“

Barbara Ost wähnte sich zuerst in einem gewöhnlichen Krankenhaus. „Als ich die Treppe hochgekommen bin, hab ich ja noch ganz normale Patienten gesehen“, sagt sie. „Und dann mussten wir nach links.“ Von da an war nichts mehr normal.

In einem Zimmer hieß es: Ausziehen! Vor den Augen zweier Schwestern, zweier Ärzte und zweier Polizisten. Sie bekam den Kittel der Station. „Und dann kam der große Schock.“ Ihre sonst durchdringende Stimme wird leise. „Die Tür. Die Stahltür. Und ich wusste, hier kommst du nie wieder raus. Kein Mensch fragt, wo du bist. Kein Mensch weiß, wo du bist. Und ich weiß nicht, warum ich hier bin.“

Barbara Ost verbrachte mehr als vier Monate in der geschlossenen Station. Sie verlor dort ihr Zeitgefühl. „Außer Schmerzen geht nichts mehr in den Kopf rein. Man sieht nur das und fühlt nur das, was um einen herum ist, und das war einfach nur Gewalt, Gewalt. Für mich war es jeden Tag eine Vergewaltigung, mich da auf diesen Stuhl draufzusetzen.“ Wer nicht wollte, wurde gezwungen und auf dem Stuhl festgebunden. Dabei konnte Gonorrhö, auch „Tripper“ genannt, ab Mitte der 1940er Jahre mit Penizillin geheilt werden - innerhalb von Stunden. Gegen Syphilis etablierte sich das Antibiotikum Mitte der 50er Jahre.

Test zu DDR-Zeiten mit Frauen: Kosmetiktests auf dem Rücken der Insassinnen

Eine Eigenheit der Station in Berlin-Buch: Kosmetiktests. Auf dem Rücken der Insassinnen wurden Lippenstifte und Kajalstifte getestet. „Man hat sich totgekratzt, Ausschlag bekommen, oh Gott“, sagt Ost und schlägt sich die Hand vor den Mund. „Wir waren ihre Versuchskaninchen, und das haben wir schon relativ früh begriffen.“

Aus Verzweiflung schlug Ost in zweiwöchiger Arbeit mit einer Klobürste ein kleines Loch in eines der mit Drahtfäden verstärkten Milchglasfenster. Die Mitinsassinnen standen Schlange, um einmal frische Luft zu atmen. Ein anderes Mal waren Ost und ihre Zimmergenossinnen drauf und dran, ihre Betten anzuzünden. „Bis wir gemerkt haben: Das bringt nix. Die finden uns hier nicht. Die sehen uns hier nicht - es ist alles zu“, sagt sie. Die Station wurde nicht durchgehend beaufsichtigt.

Schließlich wurde Barbara Ost aus der venerologischen Abteilung entlassen und im Jugendwerkhof untergebracht. Jahrelang schwieg sie über das Erlebte. Sie musste bei Entlassung aus der Station eine Schweigeerklärung unterschreiben. Die Scham tat bei vielen ihr Übriges. „Der Staat, der uns helfen sollte, der uns hätte auffangen müssen und uns beschützen, der hat uns weggesperrt und uns noch mal zusätzlich gequält“, sagt Ost heute.

Wie viele Frauen insgesamt in venerologische Stationen eingeliefert wurden, kann der Forscher Steger nicht genau sagen. Viele Akten sind verschwunden. Doch allein im Jahr 1968 kamen DDR-weit 2763 Frauen in solche Abteilungen. Das belegt ein damaliger medizinischer Fachartikel. Manche Kliniken verzichteten mit der Zeit auf Zwangseinweisungen, wie beispielsweise in Dresden. In anderen wurde die unrechtmäßige Praxis bis zum Ende der DDR beibehalten.

Auch im Westen gab es, so berichtet Steger, geschlossene Stationen im Kampf gegen Geschlechtskrankheiten, etwa in Frankfurt und Hamburg. Aber diese seien weit entfernt gewesen von den „totalen Institutionen“ der DDR, sagt der Experte. Ein genauer Ost-West-Vergleich stehe noch aus.

Heidi Bohley aus Halle (Saale): „Hier hieß das Tripperburg

Dass heute öffentlich über dieses lange vergessene Kapitel diskutiert wird, ist vor allem einer zu Frau verdanken: Heidi Bohley, der Schwägerin der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Sie leitet den Verein „Zeitgeschichte(n)“ in Halle. Und sie war es, die 2000 der Leidensgeschichte einer Betroffenen Glauben schenkte. Warum? Vor Jahrzehnten hatte sie selbst mitbekommen, wie Frauen in die geschlossene Station in Halle eingewiesen worden waren.

„Hier hieß das Tripperburg“, sagt die 67-Jährige im Vereinsbüro im Zentrum der Stadt. Vor ihr liegt ein Ordner voller Akten und Zeitungsausschnitte. Darunter auch die Hausordnung der „Tripperburg“. Bohley liest vor: „Durch erzieherische Einwirkung muss erreicht werden, dass diese Bürger nach ihrer Krankenhausentlassung die Gesetze unseres Staates achten [...].“ Sie lacht laut auf. Überall sei es um Erziehung gegangen. „Alles eine Soße, sag' ich doch.“

Auch weil die Lokalpresse über die Geschehnisse in der Klinik berichtete, meldeten sich nach und nach mehr Frauen bei Bohley und bei der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker. „Das Kapitel war gar nicht beachtet“, sagt Neumann-Becker. 2013 stieß sie die Forschung durch Florian Steger an.

„Tripperburg“ in Halle (Saale): Kampf um Entschädigung

Die Aufklärung hat bereits einiges bewirkt: Den Insassinnen der „Tripperburg“ in Halle wurde im Herbst 2015 eine Gedenktafel gewidmet. Unbekannte haben sie gestohlen, aber die Stadt hat Ersatz zugesagt. Der Bundestag befasste sich im vergangenen Sommer mit den venerologischen Stationen - auf eine Kleine Anfrage der Grünen hin.

Und die Frauen haben es nun einfacher vor Gericht, ihr Leid zu belegen. Nach zahlreichen abgelehnten Anträgen erstritten zwei Betroffene 2016 eine Rehabilitierung - in einem der Beschlüsse wird explizit Bezug auf Stegers Forschung genommen.

Rehabilitierung heißt: Der Freiheitsentzug ist als rechtsstaatswidrig anerkannt und wird aufgehoben, erklärt Birgit Neumann-Becker. Daraus ergäben sich Ansprüche auf Entschädigung, gut 300 Euro pro Monat Eingesperrtsein. Wer länger als sechs Monate festsaß, kann eine Opferpension von maximal 300 Euro pro Monat beantragen.

Bleiben die körperlichen und seelischen Spätfolgen. Dafür Entschädigung zu bekommen, wird sehr schwer. Die heutigen Probleme müssen genau auf die Zeit in der Klinik zurückgeführt werden können.

Missbrauch zu DDR-Zeiten: Die Frauen leiden noch heute

Barbara Ost ist überzeugt, dass ihre Erlebnisse in Buch bis heute nachwirken: Sie fürchtet sich vor Ärzten und bekommt Panik in geschlossenen Räumen. Als sie kürzlich einen Spielfilm über Heimkinder sah, wollte sie alles kurz und klein schlagen vor Wut.

Andere Frauen verloren jedes Interesse an Sex, sind inkontinent oder konnten keine enge Beziehung zu ihren Kindern oder Männern aufbauen.

Verbittert ist Ost trotz allem nicht. „Weil es früher so war, versuche ich heute, intensiver zu leben, was mir natürlich nicht immer gelingt“, sagt sie. Ihr Markenzeichen: immer mindestens ein pinkes Kleidungsstück - weil in ihrer Jugend alles so grau war. Heute sind es rosa Socken. Ihre Fingernägel sind mehrfarbig lackiert.

Barbara Ost und Martina Blankenfeld waren zu unterschiedlichen Zeiten in Berlin-Buch gefangen. Aber sie kennen sich und teilen ein Ziel. Sie wollen ein Theaterstück über ihre Leidenszeit auf die Beine stellen. Aufführungsort: auf dem ehemaligen Klinikgelände. „Das ist mein Lebensthema“, sagt Blankenfeld. „Aufklären. Aufklären, damit ich meinen Frieden finde.“

 

Gesetzlich waren Frauen in der DDR gleichberechtigt. Trotzdem dominierten Männer viele Hierarchien in dem ostdeutschen Staat (1949-1990). Frauen, die nicht ins Bild einer „sozialistischen Persönlichkeit“ passten, und Oppositionelle waren wiederholt Demütigungen und Misshandlungen in DDR-Kliniken ausgesetzt - aber nicht nur dort:

Frauengefängnis: Berüchtigt war die Burg Hoheneck im erzgebirgischen Stollberg, in der Frauen unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert wurden. In dem überbelegten Zuchthaus, das für 600 Gefangene konzipiert war, saßen Mitte der 1970er Jahre 1600 Frauen ein. Von insgesamt rund 24 000 Häftlingen war rund ein Drittel politisch verfolgt. Regimegegnerinnen und Republikflüchtlinge wurden in eine Zelle mit Schwerverbrecherinnen gesteckt, um sie zu terrorisieren. Es kam zu Übergriffen von Wärterinnen und Mitgefangenen. Zudem mussten Insassinnen Zwangsarbeit machen.

Kindsentzug: Wegen politischer Delikte - etwa versuchter Republikflucht und sogenannter Staatsverleumdung - nahm der Staat Eltern ihre Kinder weg. Offizielle Stellen ordneten für die Mädchen und Jungen Adoption an, steckten sie in Pflegefamilien und Heime. Wenn junge, alleinerziehende Mütter als „asozial“ eingestuft wurden, konnten sie ihr Recht zur Erziehung verlieren. Die DDR-Führung verstand Kindererziehung auch als Dienst an der sozialistischen Gesellschaft.

Prostitution: Prostituierte, aber auch Frauen mit angeblich häufig wechselnden Geschlechtspartnern, für die das Wort „HwG-Personen“ geprägt wurde, mussten mit moralischer Ablehnung kämpfen. Sie passten nicht ins sozialistische Gesellschaftsbild. Für die Führung der Staatspartei SED waren sie Prototypen weiblicher „Asozialer“. 1968 wurde Prostitution unter Strafe gestellt. Gleichzeitig nutzte die DDR-Geheimpolizei Stasi die Frauen als Inoffizielle Mitarbeiterinnen, um etwa Informationen über Westdeutsche und Fluchtwillige zu erhalten. In Klinik-Stationen für Geschlechtskranke ging die Stasi teils ein und aus.

Familiäre Gewalt: Der Sozialismus sieht sich als friedliebendes Staatsgebilde. Gewalt wurde aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt. Wissenschaftler der Uni Bielefeld schreiben, das Problem habe sich allerdings in den häuslichen Raum verlagert. Gewalt gegen Frauen sei in der DDR ein Tabuthema gewesen. Es habe „keine konstruktive Auseinandersetzung“ mit Aggressionen in der Familie gegeben - weder individuell noch gesellschaftlich. Zwar habe sich der Staat in das Leben seiner Bürgerinnen eingemischt und ihren Alltag kontrolliert. Doch hätten Polizei und Justiz regelmäßig nicht eingegriffen, wenn es um Gewalt in Beziehungen gegangen sei.

Kampf gegen Geschlechtskrankheiten in der DDR

Geschlossene venerologische Station: Venerologie ist die Lehre der sexuell übertragbaren Krankheiten. In die geschlossenen Stationen sollten zu DDR-Zeiten Geschlechtskranke zwangseingewiesen werden, die sich anderen Behandlungsformen widersetzten. Tatsächlich wurden auch Gesunde dort festgehalten. Ziel war neben dem Kampf gegen Gonorrhö und Syphilis die Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“.

HwG-Person: So wurden in der DDR Menschen genannt, die häufig wechselnde Geschlechtspartner hatten oder denen das unterstellt wurde. Als HwG-Personen geführte Frauen galten als „dringend Krankheitsverdächtige“. Die Behörden wiesen sie besonders oft zwangsweise in Stationen für Geschlechtskrankheiten ein.

Transportpolizei: Die Bahnpolizei in der DDR. Transportpolizisten brachten häufig an Bahnhöfen herumhängende junge Frauen in geschlossene venerologische Stationen.

Fieberspritzen: Die Spritzen wurden in den geschlossenen Stationen nach Berichten oft ohne Erklärung verabreicht. Sie waren ein medizinisches Hilfsmittel und sollten schlummernde Krankheiten zum Ausbruch bringen. Patientinnen bekamen dadurch Schüttelfrost, Kopfschmerzen und Erbrechen.

Gonorrhö (auch Tripper): Eine der häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten. Eine Infektion kann zu Entzündungen und unbehandelt auch zu Unfruchtbarkeit führen. Seit Mitte der 1940er Jahre kann Gonorrhö binnen Stunden mit Antibiotika geheilt werden. Trotzdem wurden Kranke in der DDR wochenlang in geschlossenen Stationen behandelt. Heute haben viele Bakterienstämme, die Gonorrhö verursachen, Antibiotika-Resistenzen entwickelt.

Syphilis: Die bakterielle Infektionskrankheit wird meist beim Sex übertragen. Die Krankheit führt unbehandelt zu Geschwüren, Hautausschlägen und Schleimhautentzündungen. Oft Jahre nach der Infektion bilden sich Knoten in Organen und Knochen. Sind einmal Nerven und Gehirn befallen, kann es zu Lähmungen und Sehstörungen kommen. Syphilis ist seit den 50er Jahren mit Antibiotika heilbar. (dpa)

Die Mitgründerin des Vereins "Zeit-Geschichte(n) e.V.", Heidi Bohley, versucht durch ein Loch einer alten Tür der ehemaligen Poliklinik Mitte in Halle (Saale) etwas zu erkennen.
Die Mitgründerin des Vereins "Zeit-Geschichte(n) e.V.", Heidi Bohley, versucht durch ein Loch einer alten Tür der ehemaligen Poliklinik Mitte in Halle (Saale) etwas zu erkennen.
dpa