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Agrarwirtschaft Landwirtschaft in Ostdeutschland: Bauern gehen Fachkräfte aus

Von Walter Zöller 24.08.2016, 20:54
Die Erträge bei Getreide lagen 2016 etwas über den Erwartungen.
Die Erträge bei Getreide lagen 2016 etwas über den Erwartungen. Symbolbild/Pixabay

Halle (Saale) - Die ostdeutsche Landwirtschaft wird in den kommenden Jahren unter einem großen Fachkräftemangel leiden. Die Hoffnung, einen wesentlichen Teil der fehlenden Mitarbeiter in Osteuropa gewinnen zu können, wird sich nur in geringem Ausmaß erfüllen.

Und auch unter den Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind, hält sich die Anzahl von potenziellen landwirtschaftlichen Fachkräften in Grenzen. Das ist das Zwischenergebnis einer Studie, die derzeit unter der Federführung des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (Iamo) mit Sitz in Halle erarbeitet wird.

„Weder Flüchtlinge noch Fachkräfte aus Osteuropa können die Nachwuchsprobleme hier lösen“, sagte Martin Petrick, stellvertretender Leiter der Abteilung Agrarpolitik des Iamo.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es für landwirtschaftliche Betrieb immer mühsamer wird, qualifizierten Nachwuchs für diesen Berufszweig zu begeistern. Das hat generell mit zurückgehenden Geburtenraten und sich wandelnden Berufsvorstellungen von Jugendlichen zu tun. In Ostdeutschland kommen zudem die jahrelange Abwanderung vieler junger Leute in den Westen sowie die besondere Struktur des Agrarsektors hinzu, in dem es viele Lohnarbeitsverhältnisse gibt.

Nach einer Untersuchung des Zentrums für Sozialforschung an der Martin-Luther-Universität in Halle erreichen in Sachsen-Anhalt rund 30 Prozent der fest angestellten landwirtschaftlichen Arbeitskräfte bis zum Jahr 2020 das Rentenalter - das sind fast 5 500 Personen.

Dabei stehen längst nicht nur un- oder angelernte Beschäftigte vor dem Renteneintritt (21 Prozent), sondern auch viele Facharbeiter (52 Prozent) oder Meister sowie Techniker (zehn Prozent). „Es fehlen jetzt schon Fachleute. Das fängt bei Traktorfahrern an und hört bei Betriebsleitern auf“, sagte Iamo-Wissenschaftler Petrick.

Ostdeutsche Landwirtschaft zieht ausländische Fachkräfte kaum an

Angesichts dieser Situation ist der Gedanke naheliegend, einen Teil der Stellen etwa mit Fachkräften aus Ost- und Südosteuropa zu besetzen. Die Iamo-Wissenschaftler forschen unter anderem in Bulgarien und Russland, wie realistisch dies ist.

Einerseits würden dort deutsche Agrarbetriebe als attraktiv angesehen, was die Karrieremöglichkeiten betrifft, stellten sie fest. „Die Bereitschaft, nach Deutschland umzuziehen, ist allerdings bei vielen gering“, sagte Petrick.

Das Iamo kommt zu dem Schluss, dass junge Leute angesichts einer auch dort durch Geburtenrückgang und Überalterung schrumpfenden Bevölkerung durchaus gute Berufschancen in ihrer Heimat haben.

Sie für Deutschland zu begeistern, sei also kein Selbstläufer, landwirtschaftliche Betriebe müssten auf jeden Fall Energie und Geld in die Anwerbung und Weiterbildung neuer Mitarbeiter aus Osteuropa stecken. „Die Migration aus Osteuropa ist kein Patentrezept. Wenn überhaupt, kann sie nur einen kleinen Beitrag zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme in der ostdeutschen Landwirtschaft leisten“, lautet Petricks Schlussfolgerung.

Nicht wesentlich günstiger sieht es laut Iamo bei dem Versuch aus, Flüchtlinge in großem Stil in Landwirtschaftsberufen auszubilden. Zwar arbeiten nach Daten der Weltbank in Syrien 14 Prozent und dem Irak 23 Prozent der Beschäftigen in der Landwirtschaft, also wesentlich mehr Menschen als in Deutschland (1,5 Prozent). Produktionstechnologie und Berufserfahrung seien indes völlig anders und nicht einfach zu übertragen.

„Viele Flüchtlinge haben keine Vorstellung, was es bedeutet, in der deutschen Landwirtschaft zu arbeiten. Es gibt ein großes Wissensdefizit“, sagte Petrick.

Der Forscher geht davon aus, dass viele Landwirtschaftsbetriebe in Ostdeutschland in den nächsten Jahren noch stärker auf den Einsatz großer Maschinen und moderner Technik setzen werden, um so die durch den Fachkräftemangel entstehenden Probleme zumindest teilweise in den Griff zu bekommen. „Die Betriebe müssen sich aber auch noch besser auf dem Arbeitsmarkt aufstellen“, so Petrick.

Der Wissenschaftler sieht viele Bauern und Betriebsleiter in einer Identitätskrise. „Was bedeutet es beispielsweise, Tiere als Rohstofflieferanten aufzuziehen und dann zu töten? Solche Fragen rücken immer mehr in den Vordergrund.“ Die Landwirte sollten, so Petrick, „mit bestimmten Widersprüchen in ihrem Beruf offen umgehen“. (mz)