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Landwirtschaft Landwirtschaft: Botulismus - die unglaubliche Seuche

Von Katja Tichomirowa 29.07.2012, 18:31

Berlin/MZ. - Sie handelt vom Verlust seiner Existenz, von behördlicher Willkür und dem vergeblichen Versuch, sein Recht vor Gericht zu erstreiten.

Klaus Wohldmanns Geschichte begann auf einer überschwemmten Wiese bei Baumgarten in Mecklenburg. Im Februar 2002 trat die Warnow über die Ufer und überschwemmte die Niederungen am Fluss - Wiesen, die Klaus Wohldmann zur Futtergewinnung für seine Rinder dienten. Erst im Mai zog sich das Wasser zurück und die Silage, das Futter für die Rinder auf dem Hof, wurde geerntet. Die Qualität war schlecht, das hatte die Kontrolle der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt Lufa ergeben, aber die Silage war deshalb nicht unbrauchbar. Als Wohldmann im August mit der Verfütterung begann, wurden seine Rinder krank.

"Ein elendes Bild"

Es gab Totgeburten, die Kälber hatten Durchfall, die Rinder bewegten sich nur noch zögerlich, wurden immer schwächer und konnten sich schließlich nicht mehr aufrichten. "Es war ein elendes Bild", sagt Wohldmann. Der Hoftierarzt war ratlos. Es wurde ein Termin mit dem Rindergesundheitsdienst der Tierseuchenkasse vereinbart. Zu diesem Zeitpunkt war bereits die Hälfte des Viehbestands erkrankt.

Trotzdem hätte man ihnen noch helfen können, sagt Wohldmann, wenn die Amtstierärzte die richtigen Schlüsse aus den Befunden gezogen hätten, die das Göttinger Clostridien Center (GCC) erstellt hatte: Eine hochgradige Belastung des Betriebs mit Chlostridium Botulinum. Das Nervengift, dass dieses Bakterium ausscheidet, Botulinum-Toxin, kennt man seit langem. Der akute Botulismus ist eine auch für den Menschen lebensbedrohliche Vergiftung, ausgelöst durch verdorbene Lebensmittel, in denen sich Botulinum-Toxin gebildet hat.

In der Landwirtschaft stehen Futtersilos und Biogasanlagen unter Verdacht, Botulinum-Brutstätten zu sein. Auf dem Hof von Klaus Wohldmann tötete das Gift langsam - die Kühe, die Katzen, den Hund. Bald zeigten sich auch bei Wohldmann ähnliche Symptome wie bei seinen Tieren. Er wurde schwächer. Schließlich erkrankte die Familie. Seine Frau, die zur Zeit des Ausbruchs der Krankheit auf dem Hof hochschwanger war, brachte ein schwer körperlich und geistig behindertes Kind zur Welt. Derweil stritten die Sachverständigen weiter über die Ursachen. Die Tierärztin vom Rindergesundheitsdienst in Rostock diagnostizierte chronischen Botulismus. Die Amtstierärztin aber wollte davon nichts wissen. Und in ihrem Unglauben, dass es sich bei den Krankheitsfällen auf dem Wohldmann-Hof um chronischen Botulismus handeln könnte, sah sich die Amtstierärztin einig mit so ziemlich allen zuständigen Behörden. Man kennt zwar das Phänomen, will aber nicht von einem Krankheitsbild sprechen.

So findet sich auf der einschlägigen Seite des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) der Hinweis, es werde seit einiger Zeit von einem chronisch verlaufenden Krankheitsbild in Rinderbeständen berichtet, "das einige Experten als spezielle Form des Botulismus ansehen und als (chronischen) visceralen Botulismus bezeichnen". Eine Ansteckungsmöglichkeit für den Menschen werde diskutiert. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erklärt dagegen, der wissenschaftliche Nachweis, dass es diese Krankheit überhaupt gibt, sei nicht erbracht. Chronischer Botulismus ist für das Ministerium bislang nur "eine Hypothese". Für Klaus Wohldmann und viele andere Bauern, die von der Krankheit betroffen waren oder sind, hat das erhebliche Konsequenzen.

Man hält ihnen vor, die Erkrankung ihres Viehs sei auf mangelhafte Tierhaltung zurückzuführen. Sie seien mithin selbst schuld. Und man verweigert ihnen Hilfe. Die Tiere könnten geimpft werden, was in Deutschland aber nur in Ausnahmefällen und auf Anordnung des Amtstierarztes geschehen darf. Dem Bundesministerium fehlen die "fachlichen und rechtlichen Kriterien zur Einführung einer Anzeige und Meldepflicht für chronischen Botulismus". Als Tierseuche ist die Krankheit nicht anerkannt. So lehnt auch die Tierseuchenkasse Entschädigungszahlungen an die Landwirte ab.

Familie kapituliert

Auch bei Wohldmann war das der Fall. Seine private Versicherung sah sich nicht zuständig. Diverse Tierärzte, die Landwirtschaftsbehörde, der Bauernverband, das Ministerium - alle sind sich einig, dass es die Krankheit, an der seine Familie und seine Rinder litten, nicht gibt. Die Familie kapitulierte im September 2005. Sie verließ den Hof, ohne ein Möbelstück mitzunehmen. "Ich habe alles verbrannt", sagt Wohldmann. Geblieben sind ihm 250 000 Euro Steuerschulden. Inzwischen sind oder waren laut Schätzungen über 2 000 Betriebe in Deutschland von chronischem Botulismus betroffen.