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Kubakrise Kubakrise: Am Abgrund

Von Michael Ossenkopp 12.10.2012, 17:15

Halle (Saale)/MZ. - Nur knapp 200 Kilometer von der Küste Floridas entfernt empfinden die Amerikaner die Stationierung als massive Bedrohung, die unter keinen Umständen toleriert werden kann. Die USA blockieren den Seeweg nach Kuba. Als sowjetische Schiffe dennoch auf die Karibikinsel zusteuern, scheint der Dritte Weltkrieg unausweichlich. In der Bundesrepublik kommt es zu Hamsterkäufen, besonders die Regale mit Mehl, Zucker und Öl sind leer. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundene Furcht vor einem "Russensturm" ist bei vielen Deutschen noch in den Köpfen.

Das Wettrüsten der USA und der UdSSR hatte schon Anfang der 50er Jahre begonnen. Mit der ständigen Entwicklung neuer Waffensysteme streiten die beiden Weltmächte um die Vorherrschaft, dabei geht es um die Ausdehnung des Einflussbereichs der gegensätzlichen Wirtschaftssysteme und Ideologien, das kapitalistische Amerika "kämpft" gegen das kommunistische Russland - und umgekehrt. Zunächst haben die USA einen technologischen Vorsprung, aber der droht nach dem "Sputnik-Schock" und dem ersten erfolgreichen Weltraumflug Gagarins verspielt zu sein. Doch die Weltmächte scheuen einen direkten Konflikt, sie bringen ihre weitreichenden Interkontinentalraketen in Stellung und führen Stellvertreterkriege in Korea, Laos und Vietnam.

Seit dem Sturz von Diktator Fulgencio Batista durch die Rebellen um Fidel Castro und Ernesto "Che" Guevara im Januar 1959 ist die 60 Jahre andauernde Abhängigkeit Kubas von den USA dahin. Der neue Revolutionsführer Castro enteignet amerikanischen Grundbesitz, die USA verhängen ein - übrigens bis heute gültiges - Handelsembargo. Schließlich planen sie eine Invasion mit in Guatemala trainierten Exilkubanern, um eine neue Regierung zu bilden. Doch die Invasion im April 1961 scheitert und geht als "Desaster in der Schweinebucht" in die Geschichte ein.

Ab Juli 1962 wurde das 5 000 Mann starke sowjetische Militärpersonal auf Kuba unter dem Decknamen "Operation Anadyr" auf über 40 000 Soldaten aufgestockt. Daneben transportieren Dutzende von Schiffen der Sowjetmarine und der Handelsflotte über 230 000 Tonnen Ausrüstung in die Karibik, darunter 40 SS-4- und SS-5-Raketen inklusive 164 Nuklearsprengköpfen. Die Geschosse haben eine Reichweite von 2 000 bzw. 4 500 Kilometern und können theoretisch alle großen Städte der USA erreichen. Am 29. August schießen hochfliegende Lockheed-U2-Flugzeuge erste Fotos von sowjetischen Technikern bei der Installation von Abschussvorrichtungen von Flugabwehrraketen und erst am 14. Oktober liefern erneut Aufklärer über Kuba Fotografien von Raketenstellungen in der Nähe von San Cristobal. Daraufhin ruft US-Präsident John F. Kennedy einen zwölfköpfigen Beraterstab zusammen. Man diskutiert mögliche Reaktionen auf die Bedrohung und erwägt einen Luft- und Bodenangriff oder eine Seeblockade.

Schließlich setzt sich der Präsident im Beraterstab durch. Er informiert alle NATO-Partner, unter anderem de Gaulle und Adenauer, über seinen Entschluss und verkündet am 22. Oktober in einer Fernsehansprache als Folge der sowjetischen Raketenstationierung eine "Quarantäne" für Kuba, die am 24. Oktober um 10 Uhr beginnen wird. De facto ist es aber eine totale Seeblockade im Radius von 500 Meilen um die Zuckerinsel. Kennedy fordert den sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow ultimativ zum Abzug der Raketen aus Kuba auf und droht für den Angriffsfall mit einem atomaren Gegenschlag. Am selben Tag spitzt sich die Lage weiter zu, als 14 sowjetische Schiffe Kurs auf die Blockade halten. Eine Bereitschaft Chruschtschows zum Einlenken ist nicht erkennbar, die Kubakrise befindet sich auf dem Höhepunkt. Doch im allerletzten Moment wird die russische Flotte zurückbeordert. Am 26. Oktober schlägt Chruschtschow Kennedy Verhandlungen vor.

Kennedy sagt, die USA würden nicht auf Kuba intervenieren, wenn Chruschtschow die Raketen abzöge. Außerdem wollten die USA ihre Raketenbasen in der Türkei abbauen - allerdings dürfe dies nicht Teil einer offiziellen Vereinbarung sein, sondern müsse heimlich geschehen.

Zentral für die Lösung der Kubakrise war die Einsicht von Kennedy wie auch von Chruschtschow, dass es bei einem Atomkrieg nur Verlierer gegeben hätte. Um die ungeheure Gefahr eines solchen Krieges künftig zu bannen, entzog Kennedy den Militärs die Verfügungsgewalt über Kernwaffen mit der Einführung eines zwingend erforderlichen Freischaltcodes in der Hand des US-Präsidenten über einen sogenannten Atomkoffer. Auch die UdSSR führte das ein.

Die eigentliche Krise dauerte 13 Tage und brachte im Kalten Krieg einen Wendepunkt. Die internationalen Beziehungen wurden neu geordnet und 1963 ein "Heißer Draht" zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus eingerichtet. Ein von keiner Seite beabsichtigter Atomkrieg sollte durch direkten Kontakt der Staatsmänner in Zukunft vermieden werden. Abrüstungsverhandlungen mündeten 1969 im ersten SALT-Abkommen und läuteten langsam den Beginn der Entspannungspolitik ein.