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Krieg im Irak Krieg im Irak: Kinder in Bagdad - Schock, Angst und Albträume

Von Carsten Hoffmann 30.03.2003, 13:37
Ein Arzt versorgt ein verletztes Kind in Bagdad (Foto: dpa)
Ein Arzt versorgt ein verletztes Kind in Bagdad (Foto: dpa) AFP

Bagdad/dpa. - Am Morgen nach jeder unruhigen Bombennacht sucht sich der achtjährige Saif in Bagdad einen neuen Platz für sich und seine hölzerne Schuhputzerkiste. «Polish, Mister, polish?» ruft das von Staub und Schuhcreme verschmutzte Kind und wirbt so um seine Polierdienste. «Englisch hab ich in der Schule gelernt», sagt er. Da müssen die anderen Straßenjungs herzlich lachen. Jeder weiß doch, dass Saif noch nie zur Schule gegangen ist.

Das ist aber nicht alles. «Wenn man die Kinder hier sieht, denkt man vielleicht, sie schauen noch ganz gut aus», sagt die belgische Kinderärztin Colette Moulaert, die für eine Hilfsorganisation nach Bagdad gereist ist. «Am Alter gemessen sind sie aber viel zu klein. Es fehlt ihnen an Protein in der Nahrung.» Die unzureichende Ernährung vieler Kinder ist Folge mehrerer Kriege und des wirtschaftlichen Niedergangs in dem unter UN-Embargo stehenden Irak.

Und die Lebensbedingungen verschärfen sich dramatisch. Seit fast zwei Wochen schlagen Bomben, Raketen und Marschflugkörper in Bagdad ein. Für Kinder und ihre Familien sind die Angriffe eine schwere psychische Belastung, selbst wenn sie äußerlich unversehrt davon gekommen sind. Dr. Moulaert hat einen Vater getroffen, neben dessen Haus ein Geschoss detonierte. «Die Kleinen haben zwei Tage kein Wort mehr gesprochen», habe der Mann berichtet. Andere Eltern geben ihren schreienden Kindern schon jetzt Beruhigungsmittel.

Der Irak-Krieg wird nach Schätzungen von Experten rund eine halbe Million Kinder traumatisieren. «Nach unseren Erfahrungen aus anderen Krisengebieten brauchen davon etwa 5000 eine intensive psychologische Einzelbehandlung», sagt der Beauftragte des UN-Kinderhilfswerks UNICEF im Irak, Carel de Rooy, der jetzt in Genf ist. Die restlichen Kinder könnten in Gruppen mit Spezialmethoden behandelt werden, damit sie wieder in die Schule gehen und ein halbwegs normales Leben führen können.

Doch seit die ersten Bomben gefallen sind, haben die Schulen in Bagdad geschlossen. Die Kinder sind bei ihren Eltern und im Kreise der Großfamilien, was ihnen etwas zusätzliche Geborgenheit gibt. Das mag auch erklären, warum manche Kinder noch unbelasteter wirken, andere bereits unter einem Schock stehen. Viel hängt von der Stimmung der Erwachsenen ab. Der Krieg hat erst begonnen und nicht alle realisieren, welche militärische Vernichtungsmacht zum Sturm auf Bagdad ansetzt.

So leben viele der Jüngsten mit Angst und Albträumen, berichten Helfer. Auf die Unsicherheit und die Furcht reagierten die Kinder mit Bettnässen, sagen Ärzte. Dazu kommen die direkten Folgen des Krieges. Bilder verstümmelter Kinderleichen zeugen von den Opfern auch unter Minderjährigen. Wer durch Bagdad fährt sieht kaum je hüpfende und Parolen skandierende Jugendliche, die auf Fernsehbildern gezeigt werden. Allerdings wollen sich auch kleine Jungen öffentlich keine Schwäche anmerken lassen.

Das Leben auf der Straße hat auch den kleinen Saif abgehärtet. Mit Einnahmen von einigen Cent pro Schuhputzen muss er sich seinen Lebensunterhalt schon jetzt selbst finanzieren und inmitten des Krieges auch zum Überleben der Familie beitragen. Es ist eine gehörige Last auf den kleinen Schultern. Saif sagt: «Ich verdiene mehr als mein Vater.»