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Kirgistan Kirgistan: Nach Blutbad große Hoffnung auf Demokratie

Von Ulf Mauder 09.04.2010, 14:34
Eine Frau weint vor dem Regierungsgebäude in Bischkek, Kirgisistan. Tausende trauern um die mindestens 75 Todesopfer der Aufstände in dieser Woche. (FOTO: DPA)
Eine Frau weint vor dem Regierungsgebäude in Bischkek, Kirgisistan. Tausende trauern um die mindestens 75 Todesopfer der Aufstände in dieser Woche. (FOTO: DPA) EPA

Bischkek/Moskau/dpa. - Trauer, aber auch Zuversicht in Kirgistan:Nach dem mit 76 Toten und mehr als 1500 Verletzten größtenBlutvergießen in der Geschichte seiner Unabhängigkeit herrschte amFreitag in dem zentralasiatischen Land Staatstrauer. Die neueRegierungschefin Rosa Otunbajewa (59) rief jedoch auch zumdemokratischen Aufbruch auf. Zwischen Besuchen bei Verletzten und derTrauerarbeit festigte die Sozialdemokratin mit ihrem Kabinett weiterdie neue Machtbasis in der Hauptstadt Bischkek. Im Süden des Landesplant der autoritäre Präsident Kurmanbek Bakijew zwar weiter seineRückkehr an die Macht. Doch gilt der 60-Jährige inzwischen auchinternational als isoliert.

Otunbajewa und ihre Mitstreiter, von denen viele schon einmalRegierungsposten innehatten, überraschen Beobachter weiter mit ihrer«professionellen Geradlinigkeit». Trotz der insgesamt instabilen Lageversuchten sie, ein Bild der Normalität zu vermitteln. Einekirgisische Delegation unter Leitung des früheren Regierungschefs undehemaligen Präsidentenkandidaten Almasbek Atambajew verhandelte inMoskau über Unterstützung. Dies führte einmal mehr zu Spekulationen,dass Moskau die Umsturzpläne in dem zuletzt wie eine autoritäreMonarchie geführten Land unterstützt habe.

Haarklein listeten russische Medien Bakijews «Gaunereien» auf, mitdenen er den Kreml an der Nase herumgeführt habe. «Wir haben Bakijewimmer wieder gewarnt», zitierte die Zeitung «Kommersant» einen nichtnamentlich genannten Mitarbeiter der Präsidialverwaltung. Bakijew undsein Familienclan hätten sich bereichert und Versprechen nichtgehalten. Eines von mehreren Beispielen ist der immer wieder genannteUS-Luftwaffenstützpunkt in Manas bei Bischkek, von dem aus dieAmerikaner ihre Truppen in Afghanistan versorgen. Russland stört sichzwar seit langem an der US-Präsenz in der Ex-Sowjetrepublik,unterstützt aber längst selbst Washington im Anti-Terror-Kampf.

Vor allem die jüngsten US-Pläne, in Kirgistan nun noch einAusbildungszentrum einzurichten, dürften jedoch in Russland aufAblehnung gestoßen sein. Dass Moskau nun mit der neuen pro-russischenFührung die Kontrolle in seinem Hinterhof behält, gilt alswahrscheinlich. Aber noch ist der Machtwechsel in Bischkek nichtperfekt. Die neue Führung unter der in Moskau ausgebildetenOtunbajewa steht vor großen sozialpolitischen Herausforderungen wegender extremen Armut im Land. In vielen Regionen des Hochgebirgslandesist sogar Elektrizität ein Luxus.

Bei den blutigen Protesten seit Dienstag hatten tausende KirgisenBakijew immer wieder als «Blutsauger» bezeichnet, der die Menschenmit hohen Stromtarifen und anderen steigenden Kosten zunehmend in dieArmut gedrängt habe. Otunbajewa will nun nicht nur die Verfassungändern, um künftig neue despotische Strukturen auszuschalten - eineneue Führung muss vor allem gegen die korrupte Vetternwirtschaftvorgehen, die Bakijews Überleben gesichert hatte. «Die jetzigeFührung in Kirgistan hat gute Voraussetzungen, weil alles gestandenePolitiker sind, die wissen, was sie tun», sagte die deutscheZentralasien-Expertin Andrea Berg von der MenschenrechtsorganisationHuman Rights Watch (HRW) der Nachrichtenagentur dpa.

Wie HRW warnten viele internationale Beobachter vor neuemBlutvergießen. Zwar versuchte der im Militär hoch angesehene Generalund neue Verteidigungsminister Ismail Issakow, diese Ängste zuzerstreuen. Er sagte, dass Bakijew im Süden des Landes versuche,bewaffnete Einheiten aufzustellen; die Kampfbereitschaft sei abergering. In den vergangenen Tagen hatten auch angeblich von BakijewsLeuten eingesetzte Plünderer für Gewaltexzesse in der Hauptstadtgesorgt. Zudem sorgten mitten in der Staatstrauer Funde vonPanzerminen für Aufregung in Bischkek.

Die Behörden versicherten aber, dass alles unter Kontrolle sei.Vorsorglich drohte der neue Geheimdienstchef Keneschbek Duischebajewdamit, Bakijew und seine Brüder kaltzustellen. BakijewsAufenthaltsort sei gut bekannt.