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Kees de Vries Kees de Vries: CDU-Direktkandidat mit Rudi-Carrell-Akzent

Von Alexander Schierholz 01.10.2013, 18:27
Kees de Vries ist Vater, Landwirt - und seit Kurzem Bundestagsabgeordneter der CDU.
Kees de Vries ist Vater, Landwirt - und seit Kurzem Bundestagsabgeordneter der CDU. Heiko Rebsch Lizenz

Deetz/MZ - Kees de Vries schiebt einen Stapel Post auf seinem Schreibtisch von links nach rechts. Er nimmt sein Smartphone auf und legt es wieder hin. Er lässt einen Zollstock von der Tischplatte in einer Schublade verschwinden. Der große kräftige Mann wirkt ein bisschen unschlüssig, als wüsste er nicht, was er als nächstes tun soll.

Es ist aber auch wirklich gerade viel: Heute Nachmittag das nächste Interview. Am Abend der Ortsverband Zörbig. Morgen kommt der neue Mitarbeiter aus Berlin, den muss er in Wiesenburg am Bahnhof abholen, drei, vier Stunden wird das Gespräch schon dauern. Samstag 20 Jahre THW Bernburg, nachmittags Wiedereröffnung eines Hotels in Jeßnitz nach dem Hochwasser. Sonntag Erntedankfest in Staßfurt. Und so weiter und so fort.

Der Selbstironie nicht abgeneigt

Aber er hat es ja so gewollt. Am vorvergangenen Sonntag, ist Kees de Vries, 58, CDU, in den Bundestag gewählt worden. Der Landwirt mit dem Rudi-Carrell-Akzent, der vor mehr als 20 Jahren aus Holland nach Sachsen-Anhalt kam, hat das Direktmandat im Wahlkreis 71 Anhalt im zweiten Anlauf geholt. Vor vier Jahren war er noch Jan Korte von der Linken ganz knapp unterlegen - am Ende fehlten nur rund 300 Stimmen.

Nun ist er also drin. Kees de Vries hat sich mächtig ins Zeug gelegt dafür. Im Wahlkampf hat er Vereine und Verbände auf seinen Hof eingeladen, zu Kaffee, Kuchen und Kühen. 1 100 Gruppen hat er angeschrieben, 30 sind gekommen. „Natürlich haben sich die Leute eher für den Hof interessiert als für Politik, aber so einen Besuch vergessen sie nicht so schnell.“ Auf Plakaten warb er, der Selbstironie nicht abgeneigt, mit dem Slogan „Kees de Vries spricht unsere Sprache“.

Mit Kees de Vries wird der Bundestag wieder ein Stückchen bunter. In seinem Heimatdorf Deetz, im äußersten Zipfel des Kreises Anhalt-Bitterfeld, unweit der Landesgrenze zu Brandenburg, nennen ihn alle nur „Kees“. Oder „den Holländer“ - freundschaftlich-respektvoll klingt das. Den Hof betreibt er gemeinsam mit seinem Schwager. 20 Angestellte, 1.500 Hektar Land, 900 Kühe, 700 Rinder, 20 Schweine, acht Schafe, sechs Enten, fünf Hühner, vier Karnickel - das ist Kees de Vries.

Längst hat der Mann den deutschen Pass. Aber wer ist er eigentlich, nach all den Jahren? Deutscher? Niederländer? Kees de Vries überlegt nur kurz, dann sagt er: „Ich bin 58 Jahre alt, Vater von sechs Kindern, Landwirt und seit einigen Tagen Abgeordneter des Deutschen Bundestages.“ Punkt. Soll heißen: Dieses ganze Identitätsgesummse ist doch nicht so wichtig.

Es ist nicht so, dass Kees de Vries sich noch etwas beweisen müsste mit seinen knapp 60 Jahren. Aber die Kinder sind groß, einer der Söhne hat auf dem Hof schon das Sagen, gemeinsam mit dem Schwager. „Ich werde hier kaum noch gebraucht.“ Das Bundestagsmandat betrachtet er als „wunderbare neue Herausforderung“. Ganz klar: Der Mann braucht eine Aufgabe.

Dabei hätte er davon eigentlich genug. Die Liste seiner Ehrenämter ist lang: Kreistag. CDU-Kreisverband. Kreisbauernverband. Kirchenvorstand. Naturpark Fläming. Und. Und. Und. Aber Kees de Vries ist einer, der nicht Nein sagen kann. Wenn ihm ein Ehrenamt angetragen werde, sagt er, „dann halte ich nichts davon zu fragen, warum gerade ich?“ Nur als sie ihm in der CDU vor ein paar Jahren die Bundestagskandidatur schmackhaft machen wollten, hat er einen Moment überlegen müssen. Dann hat er Ja gesagt. Weil er mal wirklich etwas bewegen wollte. In Vereinen und Verbänden, beklagt er, werde häufig über Dinge geredet, die schon entschieden seien oder anderswo entschieden würden. Man merkt: Das stört ihn.

Jeder kämpft für sich allein

In der vorigen Woche war er schon zwei Tage im Reichstagsgebäude in Berlin. Sitzung der neuen CDU-Fraktion, die Kollegen kennenlernen. Vom Sitzungssaal aus, erzählt de Vries, braucht man nur ein paar Schritte über den Flur zu gehen, schon hat man einen fantastischen Blick in den Plenarsaal. „Da habe ich gewusst, ich bin angekommen.“

In der Landesgruppe der CDU-Parlamentarier aus Sachsen-Anhalt haben sie in diesen beiden Tagen schon mal sondiert, wer welche Aufgabengebiete übernehmen könnte. Wie es ausgegangen ist? Will er nicht sagen. Aber seine erste Lektion hat er bereits gelernt: Jeder kämpft für sich allein. Auch in der Fraktion. Jeder hat seine Interessen und will sie durchsetzen. Zum Beispiel, wenn es um die Besetzung von Ausschüssen geht. Er, der eine Große Koalition einem schwarz-grünen Bündnis vorziehen würde, will sich nicht auf Landwirtschaft reduzieren lassen. Am liebsten wäre ihm ein Sitz im Haushalts- oder im Finanzausschuss: „Wenn man etwas erreichen will, muss man da sitzen, wo über Geld gesprochen wird.“

Rund 61,8 Millionen Bürger sind wahlberechtigt. Nach Auskunft des Bundeswahlleiters haben gut neun Prozent aller Wahlberechtigten bzw. rund 5,8 Millionen einen Migrationshintergrund. 51,5 Prozent der Wahlberechtigten sind Frauen.

Rund drei Millionen junge Menschen dürfen erstmals teilnehmen. Sie wurden seit der vergangenen Bundestagswahl 2009 volljährig. Ein Fünftel der Wahlberechtigten ist mindestens 70 Jahre alt.

Gewählt wird in den 299 Wahlkreisen in circa 80.000 Urnen- und 10.000 Briefwahlbezirken. Nordrhein-Westfalen hat die meisten (64) und Bremen die wenigsten Wahlkreise (2). 34 Parteien beteiligen sich an der Wahl, davon stellen 30 eine Landesliste auf.

Insgesamt treten 4451 Wahlbewerber an, darunter 1149 Frauen (25,8 Prozent). Das Durchschnittsalter liegt wie bei der Wahl 2009 bei 47,4 Jahren. Die jüngste Bewerberin ist 1995 geboren und kandidiert auf einer Landesliste in Bayern, der älteste Bewerber ist Jahrgang 1923 und steht auf einer Landesliste in Berlin.

Etwa 630.000 ehrenamtliche Wahlhelfer sind am Wahlsonntag im Einsatz. Manche Großstädte benötigen allein bis zu 10.000. In jedem Wahllokal und für jeden Briefwahlbezirk gibt es einen Wahlvorstand, der sich aus einem Wahlvorsteher, einem Stellvertreter und drei bis sieben Beisitzern zusammensetzt. Neben der Überwachung und Organisation der Wahl zählt der Vorstand am Ende die Stimmen aus und leitet das Ergebnis an die Kommune weiter.

Um 18 Uhr verbreiten die Fernsehsender und Online-Nachrichtenportale ihre Prognosen zum Wahlausgang, kurz darauf die ersten Hochrechnungen. Das vorläufige amtliche Endergebnis wird für die Nacht zum Montag erwartet.

Manchmal staunt Kees de Vries noch darüber, dass er nun im Bundestag ist. Wenn er von seinem Werdegang erzählt, untertreibt er gerne mal: „Ich bin nach Sachsen-Anhalt gekommen, um Kühe zu melken.“ Elf Geschwister hat er, die Eltern hatten einen Hof in Holland. Anfang der 1990er, er hatte den Betrieb schon übernommen, wurde ihm klar: Das hier ist zu klein, um eine Familie zu ernähren. Sie hörten von Ostdeutschland, von Chancen für junge Landwirte in Börde, Altmark oder Fläming, und sie zogen einfach los, er und zwei Brüder.

Viel Lehrgeld gezahlt

Es sollte ein Abenteuer werden. „Wir haben unglaubliche Schwierigkeiten zu überwinden gehabt, unglaublich viel Lehrgeld gezahlt.“ Allein die Qualität des Bodens! Der Fläming, sagt der Landwirt, liege am unteren Ende der Skala, Holland am oberen. „Was das in der Praxis bedeutet, merkt man erst, wenn man damit arbeitet.“ Es gab Zeiten, da waren die Kinder, damals noch klein, die einzige Motivation für ihn und seine Frau zu bleiben und weiterzumachen.

Wer so etwas hinter sich hat, für den ist die Arbeit als Bundestagsabgeordneter ein Spaziergang. „Ich habe meine Familie, meinen Betrieb und keine Existenzsorgen“, sagt Kees de Vries. „Was soll schon passieren?“

Höchstens, dass er noch mehr zu tun hat als jetzt.