Jürgen Trittin im Interview Jürgen Trittin im Interview zur Hessen-Wahl: "Bei den Grünen gab es immer einen Schweinezyklus"

Der ehemalige grüne Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin sieht die Grünen nach der Hessen-Wahl weiter auf einem guten Weg.
Herr Trittin, Hessen hat gewählt. Und die Grünen scheinen in der Regierung zu bleiben. Zufrieden?
Jürgen Trittin: Ich freue mich, dass die Grünen so gut abgeschnitten haben. Aus guten Umfragen gute Wahlergebnisse zu machen, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Grünen werden jetzt mit allen demokratischen Parteien sprechen, die für eine Mehrheitsbildung rechnerisch infrage kommen. Und dann werden wir entscheiden, mit wem sich unsere Inhalte am besten umsetzen lassen.
Ein Bündnis mit der Union scheint den Hessen-Grünen längst näher zu liegen als andere Bündnisse. Hat Daniel Cohn-Bendit Recht, wenn er sagt, die Grünen seien keine linke Partei mehr?
Das ist Quatsch. Die Grünen waren nie eine klassisch linke Partei. Sie waren zuerst Ökologen. Und Ökologen sind immer links. Die Haltung etwa zum Frankfurter Flughafen oder zu Kali und Salz war und ist im Übrigen bei SPD und CDU identisch. Am Ende wird sich die Koalitionsbildung an den konkreten hessischen Problemen entscheiden.
Was bedeutet der Wahlausgang für den Bund?
Wir erleben einen weiteren Zerfallsprozess der Großen Koalition. CDU und SPD haben in Hessen jeweils zehn Prozent verloren. Auch wenn Volker Bouffier noch einmal Ministerpräsident werden sollte, wird der Druck auf Angela Merkel natürlich zunehmen. Denn man sieht ja schon jetzt, dass man mit ihr nur noch schwer Wahlen gewinnen kann. Aber Neuwahlen bringen weder CDU noch SPD etwas, also werden sie alles tun, um sie zu verhindern. Wäre die SPD in Hessen in die Regierung gekommen, dann hätte sie das zunächst ein Stück weit stabilisiert. Aber so kann das natürlich einen unkalkulierbaren Prozess in der gesamten SPD auslösen.
Und wenn die Große Koalition in Berlin tatsächlich kaputt geht – gibt es dann wieder Jamaika-Verhandlungen oder Neuwahlen?
Jamaika ist an der Verweigerung der FDP gescheitert, nicht an den Grünen. Das zeigt, wie schwierig dieses Bündnis ist. Das gilt umso mehr, weil das nationalliberale Element in der FDP zuletzt immer stärker geworden ist. Das macht den Grünen eine Koalition noch schwerer.
Also Neuwahlen?
Ein einfaches Auswechseln der Regierung kann nicht die Lösung sein. Beim Scheitern der Großen Koalition wird der Druck Richtung Neuwahlen sehr groß werden.
Wie erklären Sie sich den derzeitigen grünen Hype, der ja über Hessen weit hinausgeht. Im Land Berlin sind die Grünen jetzt einer Umfrage zufolge stärkste Partei?
Bisher gab es bei den Grünen immer einen Schweinezyklus. Zwischen den Bundestagswahlen hatten wir Super-Umfrageergebnisse, die wir bei den Wahlen dann nicht einlösen konnten. Jetzt gibt es bei uns allerdings eine von allen getragene personelle Erneuerung. Gegen Robert Habeck und Annalena Baerbock sehen alle anderen Parteien einfach alt aus. Außerdem gibt es quer durch alle kapitalistischen Länder eine neue Konfliktlinie. Die Frage lautet: Antworten wir auf die Globalisierung und ihre Probleme durch einen Rückzug auf den Nationalstaat? Hier sind die Grünen klarer als alle anderen Parteien und der Gegenpol zur AfD. Der personelle und der inhaltliche Faktor machen uns stark und könnten die Grundlage dafür sein, dass wir den Schweinezyklus diesmal durchbrechen.
Im Falle von Neuwahlen wäre sogar ein grüner Kanzlerkandidat nicht mehr ausgeschlossen.
Wenn es Neuwahlen gäbe, würden wir eine gelungene Aufstellung finden. Aber wir sind nicht überheblich.
Liegt im Erfolg nicht auch schon der Samen des Scheiterns? Die Grünen stellen sich immer breiter auf. Und irgendwann vermisst man dann die Kanten – wie heute bei der SPD.
Wir sind in wechselnden Bündnissen, haben aber trotzdem ein eindeutiges Profil: die Ökologie. Das zeigt sich im Hambacher Forst ebenso wie im Dieselskandal. Und wir sind die einzige proeuropäische Partei. Deshalb ist mir da nicht bange.
Sie sehen keine Gefahren?
Doch, ich habe die schlimme Befürchtung, dass unsere Gewinne am Ende nichts nützen könnten, wenn der Druck auf die Union, aus rechnerischen rechten Mehrheiten irgendwann auch rechte Bündnisse zu machen, zu stark wird – wie in Österreich. Ich fürchte insofern weniger um meine Partei als um unser Land. Gegen diese Gefahr müssen wir Lösungen finden. Das ist unsere Verantwortung.