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Presseschau zu Böhmermann Jan Böhmermann: Alle sind Sieger nur Erdogan nicht - Presseschau

Von Tobias Peter 05.10.2016, 11:25
Recep Tayyip Erdogan
Recep Tayyip Erdogan AFP

Berlin - Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, da bestimmte der Streit über das Erdogan-Schmähgedicht des TV-Comedians Jan Böhmermann den Takt der öffentlichen Debatte und brachte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Erklärungsnot. Jetzt ist die Staatsaffäre vorbei – dank der Staatsanwaltschaft Mainz, die nun die Ermittlungen gegen Böhmermann eingestellt hat. Dabei gibt es nur Gewinner, abgesehen vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan natürlich. So sehen das jedenfalls zahlreiche Kommentatoren in deutschen Tageszeitungen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ kritisiert zwar, das zweieinhalbseitige Schreiben der Staatsanwaltschaft sei gewunden formuliert, ja ein „Geschwurbel“. Sie entdeckt darunter aber einen zustimmungsfähigen Kern. „Ein Staatsoberhaupt, das sich so aufführt wie Erdogan, muss sich gefallen lassen, dass es polemisch attackiert wird. Anders gesagt: Auf einen groben Klotz gehört auch mal ein grober Keil“ – so fasst Heribert Prantl das Ganze in verständlichen Worten zusammen. Diese Entscheidung sei unterm Strich in Ordnung. Und sie zeige: „Die öffentliche Aufregung darüber, dass Kanzlerin Merkel die Justiz habe machen lassen, was Sache der Justiz ist, war unbegründet.“

Merkel war ja tatsächlich unter Druck geraten. Nicht nur, weil sie am Ende die Ermächtigung zur Strafverfolgung auf Grundlage des umstrittenen Paragrafen 103 des Strafgesetzbuches zur Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten erteilt hatte. Sondern auch, weil sie das Gedicht zuvor öffentlich als „bewusst verletzend“ bezeichnet hatte – worin sie später selbst einen Fehler sah.

Merkel dürfte froh sein

So schlussfolgert die „Aachener Zeitung“, Merkel dürfte froh sein, dass es nicht zum Prozess komme. Zu einem Prozess, „der sich lange hinziehen könnte und in dem immer wieder ihr mutmaßlich problematisches Verhältnis zur Meinungs- und Kunstfreiheit thematisiert werden dürfte“, wie der Kommentator schreibt. Und was ist mit dem Verhältnis zur Türkei? „In Richtung Ankara kann Merkel achselzuckend auf die Unabhängigkeit der deutschen Justiz verweisen.“

Erdogan hat Böhmermann assistiert

Was also hat Erdogan überhaupt erreicht? „Das, wonach sich alle Kabarettisten sehnen“, lautet die Antwort der „Nürnberger Nachrichten“. Nämlich, „dass die von ihnen Kritisierten reagieren auf ihre dadurch erst so richtig wahrgenommenen Texte“. Oder aber, wie die „Augsburger Allgemeine“ schreibt: „Erdogan machte durch seine Strafanzeige erst allgemein bekannt, was Böhmermann in einem Spartenkanal zu nächtlicher Stunde nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgetragen hatte.“ Der Sieger: Jan Böhmermann. Sein Assistent: der türkische Präsident.

Der „Standard“ aus Wien erinnert allerdings die Nachbarn in Deutschland daran, dass noch ein letzter Schritt fehlt, um den Sieg auch für die gesamte Öffentlichkeit in Deutschland perfekt zu machen. Die Einstellung, heißt es, „sollte die Politik an etwas erinnern, was vor kurzem noch mit Verve diskutiert, aber bisher nicht umgesetzt wurde: die Abschaffung des unsäglichen und unzeitgemäßen Strafparagrafen zur Majestätsbeleidigung.“

Wenn es so weit ist, dann ist ein Lobgedicht fällig. Ohne jede Ironie.