Interview mit Ulrich Matthes Interview mit Ulrich Matthes: "Wir müssen für die Demokratie auf die Straße gehen"

Berlin - Der Schauspieler Ulrich Matthes, Mitglied im Ensemble des Deutschen Theaters und immer wieder auch im Fernsehen sowie im Kino zu sehen, ist ein politisch interessierter und engagierter Zeitgenosse. Hier erklärt der Berliner seine Gründe, an der Demo gegen die AfD teilzunehmen.
Herr Matthes, Sie werden am Sonntag gegen die AfD demonstrieren. Warum?
Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit. Ich habe auch schon vor dem Einzug der AfD in den Bundestag die Partei für im Wesentlichen rechtsradikal und demokratiegefährdend gehalten. Das Verhalten der AfD im Parlament bestätigt mich nur in meiner Sorge.
Ich bin einer von den Zauseln, die sich manchmal auf Phoenix eine Bundestags-Debatte angucken. Und dann finde ich diese Art von Hohn gegenüber dem demokratischen Diskurs geradezu unerträglich.
Dieses Lächerlichmachen von Argumenten erinnert mich an Berichte aus der Weimarer Republik. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass Parlamentier unterschiedlicher Couleur wie Philipp Amthor von der CDU oder Cem Özdemir von den Grünen gezeigt haben, wie man die AfD-Truppe mit Wissen und Leidenschaft auseinander nehmen kann.
Bei der AfD und bei ihren Gegnern marschieren jeweils Menschen mit festen Überzeugungen. Was bringt so eine Demo dann eigentlich?
Sie richtet sich an alle, die keine Lust oder keine Zeit haben, mitzumarschieren. Die AfD behauptet ja immer, Stimme des Volkes zu sein. Um dem etwas entgegenzusetzen, hoffe ich auf eine möglichst breite Beteiligung. Wir sollten der AfD zeigen: Ihr seid zehn Prozent der Bevölkerung und nicht das angebliche „Volk“.
Insofern finde ich es auch gut, dass eine große Gruppe von Mitarbeitern des Deutschen Theaters an der Demonstration teilnimmt. Ich gehe da sowohl als Individuum wie auch als Teil des Ensembles hin. Das ist schön. Gut finde ich im Übrigen, dass die Teilnehmer das gesamte Parteienspektrum abbilden und darunter nicht allein erklärte Linke sein werden.
Der öffentliche Umgang mit der AfD schwankt ja. Die einen sagen, man dürfe nicht auf jede Provokation eingehen. Die anderen sagen, man müsse hart dagegen halten. Was meinen Sie?
Meine Meinung hat sich da gewandelt. Am Anfang war ich heftig dafür, immer sofort gegenzuhalten. Jetzt denke ich anders. Da die AfD dauernd mit der Methode arbeitet, zunächst zu provozieren und die Provokationen anschließend halb zurück zu nehmen, kann man die eine oder andere Provokation durchaus mal ins Leere laufen lassen.
Als Berliner würde ich sagen: „Ja nich injorieren.“ Gut fand ich, dass Wolfgang Schäuble Alice Weidel in die Schranken gewiesen hat. Denn ihre Bemerkung von den Kopftuchmädchen, die angeblich allesamt Taugenichtse seien, war schlicht menschenverachtend. Es war richtig, auf diese Bemerkung sofort zu reagieren.
Wie groß ist Ihrer Ansicht nach die Bedrohung, die von der AfD ausgeht?
Die Bedrohung besteht darin, dass man sich an die Provokationen gewöhnt und achselzuckend hinnimmt, dass es eine rechtsradikale Partei im Bundestag gibt – dass also die Kräfte der Zivilgesellschaft erlahmen und man sagt: „Das ist halt jetzt so.“
Umso wichtiger ist die kluge und scharfe Auseinandersetzung mit der AfD im Bundestag. Die Reden von Özdemir, Amthor und anderen waren wirklich großartig.
Wie sehr macht sich das Erstarken der AfD in Ihrem persönlichen Umfeld bemerkbar?
Gar nicht, man redet ab und zu drüber. Aber die mir nahen Menschen sind alle keine AfD-Anhänger. Trotzdem lebe ich in keiner Blase. Ich bin vielmehr mit Menschen befreundet, die alle möglichen Parteien wählen. Nur AfD-Wähler sind eben nicht darunter. Insofern besteht die Wirkung eher in dem Nachdenken darüber, wie man der AfD begegnet.
Ich selbst überlege, wie ich mit meiner Arbeit als Schauspieler – etwa durch Lesungen – Leute erreichen kann, die zumindest darüber nachdenken, mal die AfD zu wählen. Die Leute einzuladen, in Widersprüchen zu denken, halte ich für einen wesentlichen Auftrag des Theaters.
Es geht darum, unterschiedliche Menschenmöglichkeiten nicht als Bedrohung zu empfinden, sondern als Einladung zur Neugier, vielleicht sogar zur Empathie.
Manche fürchten, dass es am Sonntag zu Zusammenstößen kommen könnte. Sie auch?
Da ich im Gegensatz zu vielen AfD-Anhängern eher optimistisch auf die Welt blicke, hoffe ich darauf, dass es dazu nicht kommt. Ich gehe da jedenfalls lächelnd hin und nicht gewaltbereit.
Die Gesellschaft ist politisiert wie lange nicht. Die geplanten Demonstrationen sind nur ein Beleg dafür. Hat das vielleicht auch Vorteile?
Natürlich. Ich hätte es allerdings gut gefunden, wenn es der AfD zu dieser Politisierung der Gesellschaft nicht bedurft hätte.
Das ist so gesehen der einzige Vorteil, den sie uns beschert hat. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit schärfen. Und wir lernen gerade, dass die Demokratie nicht so selbstverständlich ist, wie wir immer dachten.
Wir Westdeutschen sind ja nach dem Krieg in einer Demokratie erwachsen geworden. Es gab keinen Grund, sich über die Entwicklung der Demokratie an sich Gedanken zu machen. Jetzt müssen wir für die Demokratie auf die Straße gehen und sie gegen ihre Verächtlichmacher verteidigen. Weil das so ist, gehe ich am Sonntag mit.