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Interview mit Bischof Christian Krause Interview mit Bischof Christian Krause: Wider den Missbrauch christlicher Symbole

Von Joachim Frank 04.01.2015, 14:30

Herr Bischof, in Ihrem Wirken verbinden sich das Erbe Luthers und der Einsatz für die Ökumene. Was erwarten Sie vor diesem Hintergrund vom Reformationsjubiläum 2017?

Ich hoffe zum einen, dass das gemeinsame Glaubenszeugnis aller Christen im Mittelpunkt stehen wird und wir – trotz gewachsener Unterschiede – nicht alte konfessionelle Fehden verlängern. Zum anderen wünsche ich mir, dass wir die nationale Verengung vermeiden, die in der Geschichte der protestantischen Kirchen in Deutschland bis heute leider immer wieder hervortritt. So sehe ich mit Bedauern hierzulande auch für 2017 eher die Tendenz zu einer großen nationalen Show.

Es soll sogar einen staatlichen Feiertag geben.

Das wundert mich nicht. Die Bundesregierung steuert ja auch an die 40 Millionen Euro zu den Feierlichkeiten bei. Ich las die Erwartung, das Ganze könne sogar die Fußball-WM übertreffen. Das mögen die Wünsche der nationalen Organisatoren sein. Mir wäre es hingegen wichtiger, dass die weltweite, über alle Grenzen hinausgehende Dimension der Christenheit und mithin das einigende Band des Evangeliums in den Blick kommen.

Christian Krause, geboren am 6. Januar 1940, war von 1994 bis 2002 Bischof von Braunschweig. Von 1997 an stand er sechs Jahre an der Spitze des Lutherischen Weltbunds. In Krauses Präsidentschaft fällt die Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999, mit der Lutheraner und Katholiken nach mehr als 450 Jahren einen Konsens in zentralen Glaubensfragen herstellten.

Viele Jahre war Krause Vorsitzender des Lutherzentrums Wittenberg, zu dessen Gründern Hans-Dietrich Genscher und Alfred Neven DuMont gehören. Krause ist ein international erfahrener Vermittler, dem Engstirnigkeit ein Gräuel ist.

Altbischof Krause ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. Nach dem Mord an einem befreundeten äthiopischen Kirchenführer nahm er drei von dessen Kindern in seine Braunschweiger Familie auf und unterstützte sie bei ihrer Ausbildung. (red)

Woran denken Sie da speziell?

Wir leben und erleben das in den globalen Gemeinschaften etwa des Lutherischen Weltbundes oder der anglikanischen und der orthodoxen Kirchen – und eben auch in der römisch-katholischen Weltkirche.

Sie sind darüber im direkten Gespräch mit Papst Franziskus. Sehen Sie ihn als Verbündeten?

Für ihn ist die Begegnung unserer Kirchen auf Augenhöhe eine Selbstverständlichkeit. Nach den Rückschlägen in der Zeit Benedikts XVI., der uns Protestanten ja sogar das Kirchesein abgesprochen hat, ist mit Franziskus neue Bewegung in die ökumenischen Beziehungen gekommen.

Kann Martin Luther als Verbindungsglied zwischen Katholiken und Protestanten sein?

Wir dürfen nicht vergessen: Luther war katholischer Mönch und katholischer Theologieprofessor.

Historisch gesehen, ist Luther ja auf ganz unterschiedliche Weise gedeutet und auch vereinnahmt worden – nicht zuletzt als „großer Deutscher“. Was wäre für Sie ein gültiges Bild Luthers für das 21. Jahrhundert?

Das Bild eines Mannes, der sein ganzes Leben auf Gott gesetzt hat und so zum kompromisslosen Zeugen für die Bedeutung wurde, die Gott und der Glauben für das Leben des Einzelnen und der Gesellschaft haben.

Nach der Wende 1989/1990 haben Sie mit dem „Lutherzentrum Wittenberg“ versucht, das Erbe Luthers zu pflegen. Hatten Sie nach eigenem Eindruck Erfolg?

Der Ansatz war ja dezidiert kein kirchlicher. Mit Verantwortlichen aus Kultur, Politik und Publizistik – unter ihnen Hans-Dietrich Genscher, Reinhard Höppner als damaliger Ministerpräsident Sachsen-Anhalts und Ihr Verleger Alfred Neven DuMont – wollten wir die welthistorische Bedeutung Mitteldeutschlands als Stammgebiet der Reformation unterstreichen. Bezeichnenderweise trafen wir gerade bei der örtlichen evangelischen Kirche nicht auf sonderliche Gegenliebe, sondern eher auf Konkurrenzgefühle. Als die Kirche dann später das große Rad mit Reformationsjubiläum und Luther-Dekade zu drehen begann, haben sich die Initiatoren des Lutherzentrums allesamt zurückgezogen.

Im Konflikt mit der Kirche?

Mit etwas Befremden über die Umstände, aber ohne Bitternis. Unser Anstoß für das Lutherzentrum war der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Und der internationale Ansatz, den wir von Anfang an zusammen mit Mitarbeitern aus vielen Ländern umgesetzt haben, ist sehr wohl auch über unsere Grenzen hinaus wahrgenommen worden. So waren wir zu Beginn des Millenniums Gastgeber des Rates des Lutherischen Weltbundes mit Kirchenvertretern aus rund fünfzig verschiedenen Ländern, die dann unser damaliger Bundespräsident Johannes Rau in der Lutherstadt begrüßen konnte.

Wenn Sie die Internationalität der christlichen Kirche betonen, ist das auch Teil Ihrer Lebenserfahrung – nicht nur als Präsident des Lutherischen Weltbunds, sondern auch durch Ihre langjährige Tätigkeit in Afrika. Wie erleben Sie die gegenwärtige Abschottungstendenz, die in Deutschland Zehntausende zur Rettung „des Abendlands“ auf die Straße treibt?

Wir waren offenbar auf so etwas nicht gefasst. Wahrscheinlich ist das eine Konsequenz unserer Saturiertheit und unseres Reichtums – und der Angst, beides zu verlieren. So versuche ich jedenfalls, dieses Bauchgefühl zu verstehen.

Gelingt Ihnen das?

Ich denke, statt sofort moralisch zu reagieren, müssten wir den Sinn und das Ziel von Weltoffenheit und Toleranz besser verdeutlichen. Trotzdem ist es unglaublich, was da passiert: Da soll angeblich eine christliche Prägung unserer Kultur mit dem Mittel der Ausgrenzung verteidigt werden. Wer so redet, weiß offenbar selbst nicht, was er da verteidigt. Wenn ich sehe, dass da schwarz-rot-gold angestrichene Kreuze hochgereckt werden, gruselt es mich. Das ist wirklich pervers.

Wie können sich Christen gegen solche Vereinnahmung wehren?

Ich glaube, tatsächlich kann das „katholische Prinzip“ hier von ganz großer Bedeutung sein: Wir alle gehören mit unseren unterschiedlichen kirchlichen Traditionen zu einer „katholischen“ – und das heißt: zu einer allumfassenden – Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu, so wie es eben die römisch-katholische Kirche stets als Weltkirche für ihre Mitglieder zu verkörpern sucht. Da geht es immer darum, Einheit und Vielfalt in ein gut austariertes Verhältnis zu bringen. Und für mich ist ganz klar: Mit nationaler Abschottung zerstören wir das labile Gleichgewicht beider Größen. Das müssen wir uns und anderen klarmachen.