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Hintergrund Hintergrund: Sprengfallen in Afghanistan - der heimtückische Tod

Von Steffen Mayer 02.06.2011, 11:28

Berlin/dapd. - Am Freitag wird die Bundeswehr in Hannover dreiergefallener Soldaten gedenken, die bei ihrem Einsatz in AfghanistanOpfer von Sprengfallen geworden sind. Eine im Eingangsbereich desGouverneurspalastes in Talokan platzierte Bombe tötete zwei derMänner. Der dritte Soldat wurde Opfer eines der vielenselbstgebauten Sprengsätze (IED - Improvised Explosive Devices), dieAufständische zumeist am Straßenrand legen oder in denSchotterpisten vergraben. Die Gefahr durch solche Sprengfallenwächst.

Allein seit Jahresbeginn gab es in Afghanistan nach Angaben desVerteidigungsministeriums mehr als 1800 Anschläge mit Sprengfallenauf Soldaten der internationalen Truppen. Im Schnitt explodierenjeden Tag zwölf Sprengsätze. Sie verletzen, verstümmeln, töten -Opfer sind Soldaten und afghanische Zivilisten. Vier von zehnzivilen Opfern des afghanischen Guerillakriegs sterben durch IED.

Neben den Selbstmordattentaten zählen die selbstgebauten Minen zuden gefährlichsten Waffen, mit denen die Aufständischen die Soldatender ISAF angreifen. Im offenen Gefecht haben die Taliban und ihreVerbündeten kaum eine Chance, weshalb sie zunehmend IED einsetzen.60 Prozent der gefallenen US-Soldaten sind Opfer von Sprengfallen.

Zwtl: Zivilisten als Schutzschild missbraucht

Die Taliban wissen auch um den Wert der Minen für diepsychologische Kriegsführung. Nichts ist für die ISAF-Soldaten sozermürbend wie das ständige Risiko, auf Patrouille in die Luftgesprengt zu werden. Gleichzeitig machen die Aufständigen es denSoldaten immer schwerer, sie am Legen von Sprengsätzen zu hindern.Sie wissen, dass die Bundeswehr Opfer unter der Zivilbevölkerungvermeiden möchte. Deshalb platzieren sie die Bomben häufig dort, wosich viele Zivilisten aufhalten. Ein einsatzerfahrener deutscherSoldat erklärte der Nachrichtenagentur dapd, dass die Aufständischenoft nachts aktiv sind. Das seien «aber wegen der großen Hitze am Tagauch viele Bauern. Zivilisten und Aufständische kann man da nichtauseinanderhalten».

Derzeit hat die Bundeswehr kaum Möglichkeiten, gegen Täter insolchem Umfeld vorzugehen, ohne zivile Opfer zu riskieren. DiePanzerhaubitze 2000 beispielsweise, die auch im Feldlager Kundusstationiert ist, kann nur «auf offener Fläche eingesetzt werden,nicht aber in der unmittelbaren Nähe von bewohntem Gebiet», sagt derWehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP).

Die Haubitze hat eine Streuung von 20 bis 25 Meter und ist damitfür eine gezielte Bekämpfung einzelner Personen, etwa auf einerDorfstraße, zu ungenau. Die Einsatzvorgaben für die ISAF-Truppenfordern ohnehin besondere Rücksicht auf die Bevölkerung. Von demSoldaten in Kurzform gebracht heißt das auch: «Jeder tote Zivilistführt zu neuen Gegnern, die den jetzt rächen wollen.»

Zwtl: Gefahrengebiete auf Dauer nicht sicher zu überwachen

Die US-Truppen bekämpfen Bombenleger auch aus der Luft, siefliegen mit Kampfhubschraubern Patrouille und feuern aus derDistanz. Doch zum einen haben die deutschen Truppen keineKampfhubschrauber, und zum anderen kann in besiedeltem Gebiet auchnicht einfach mit der Bordkanone angegriffen werden.

Die Amerikaner nutzen zur Überwachung von Dorfstraßen, an denenhäufig IED vergraben werden, gelegentlich auch kleineScharfschützentrupps. Sie beobachten die neuralgischen Punkte undschlagen zu, wenn Aufständische Bomben legen wollen. Es istallerdings nicht möglich, dauerhaft entsprechende Posten für allegefährdeten Gebiete einzurichten.

Nach Einschätzung des deutschen Soldaten gibt es «einfach nichtgenug Soldaten, um die ganzen Gebiete, die ganzen Straßen und Dörfermit kleinen Posten zu überwachen». Zudem könnten die Aufständischenimmer ausweichen und «ihre Sprengsätze außerhalb desÜberwachungskreises solcher Posten vergraben».

Zwtl: Bombenleger warten einfach ab, bis Überwachung nachlässt

Ein ähnliches Problem gibt es nach Erfahrung des deutschenSoldaten bei der Überwachung aus der Luft, etwa mitAufklärungsdrohnen. Er sagt: «Wenn ein Gebiet stark überwacht wird,dann warten die Aufständischen einfach ab, bis die Drohnen und diePatrouillen wieder weg sind. Für sie ist es egal, ob sie dieSprengfalle heute oder morgen legen.»

Von der einheimischen Bevölkerung dürfen die internationalenTruppen kaum Hilfe erwarten. Sie warnt die ausländischen Soldatennicht vor den Sprengfallen, weil viele Dörfer den fremden Truppenzunehmend feindlich gesinnt sind. Wo dies nicht der Fall ist, drohendie Aufständischen den Dorfbewohnern Rache an. «Die Taliban übenmassiven Druck auf die Bevölkerung aus, damit die keineInformationen an die Sicherheitskräfte geben», berichtet der Soldataus dem Einsatz.

Zwtl: Wehrbeauftragter fordert bessere Ausstattung der Truppe

Vor diesem Hintergrund fordert der Wehrbeauftragte eine bessereAusstattung der Truppe. Die militärischen Vorgesetzten im Einsatzsollten die richtigen Mittel zur Verfügung haben, um, so Königshaus,«zielgerichtet, angemessen und auch verhältnismäßig reagieren zukönnen». Dazu gehöre unter anderem der bisher noch nicht eingesetzteKampfhubschrauber Tiger. Er sollte «so schnell wie möglich» nachAfghanistan verlegt werden.

Der Bundeswehr fehlt seit Jahren auch eine Möglichkeit,Sprengfallen aus gepanzerten Fahrzeugen heraus aufzuspüren und zubeseitigen. Dafür verwenden die US-Truppen schon lange kleineKonvois verschieden ausgerüsteter Anti-Minen-Fahrzeuge, sogenannte«Road Clearance Packages».

Königshaus kritisiert, dass deutsche Soldaten dagegen noch immeraus ihren gepanzerten Fahrzeugen aussteigen müssen, um per Hand dieSprengfallen zu suchen und zu entschärfen. «Das istunverantwortlich», sagt er. Eine deutsche Lösung solle nächstes Jahrkommen. Auch deswegen lautet das ernüchternde Fazit des Soldaten:«Letztendlich ist man gegen die Sprengsätze fast machtlos.»

Das Bundesverteidigungsministerium antwortete auf Fragen derNachrichtenagentur dapd zum Umgang mit den IED-Gefahren nicht.