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Grünen-Politiker Koch im Interview Grünen-Politiker Karl-Wilhelm Koch im Interview: "Ziele der Partei müssen öfter benannt werden"

Von Markus Decker 16.06.2017, 11:32
Grünen-Kommunalpolitiker Karl-Wilhelm Koch stand im Interview Rede und Antwort.
Grünen-Kommunalpolitiker Karl-Wilhelm Koch stand im Interview Rede und Antwort. privat

Der links-grüne Kommunalpolitiker Karl-Wilhelm Koch aus der Eifel macht immer wieder durch Widerspruch gegen den bundespolitischen Kurs seiner Partei aufmerksam. So auch diesmal.

Im Interview spricht Koch über seine Ziele mit den Grünen, eine mögliche Jamaika-Koalition im Bund und eine mögliche Abspaltung innerhalb der Partei.

Herr Koch, Sie fordern in einem Antrag eine neue Präambel für das Wahlprogramm. Darin soll unter anderem das Thema soziale Gerechtigkeit stärker hervorgehoben werden. Was fehlt Ihnen denn noch?

Unsere Kritik an der ursprünglichen Präambel beginnt bei der Ansprache, bei der die „Freundinnen und Freunde der grünen Bewegung“ übergangen, vergessen oder für unwichtig erachtet wurden. Wir versuchen in klarer Sprache auf die grünen Positionen, die ja im anschließenden Programm folgen sollen, hinzuarbeiten und die Wählerinnen und Wähler „mitzunehmen“. Und wir haben einen Schwerpunkt auf die sozialen Ungerechtigkeiten in unserem Land gelegt, weil uns dieser wesentliche Punkt in unserem Programm zu schwach betont war.

Es endet nicht zuletzt am Auslassen der Atom-Thematik, einem der Grundpfeiler der grünen Politik. Es fehlt in der Präambel die Beschlusslage der Partei zum Beispiel zum Kohleausstieg bis 2025 oder das Ende des Verbrennungsmotors bis 2030. Ohne ein Festhalten an diesen Beschlüssen wird es jedoch unmöglich sein, das 1,5 Grad-Ziel der Klimakonferenz von Paris 2015 einzuhalten.

Dem äußeren Eindruck nach entwickeln sich die Grünen von einer Mitte-Links-Partei zu einer ganz und gar bürgerlichen Partei. Ist das auch Ihr Eindruck?

Das wird dieser Parteitag zeigen. Wenn ich den letzten Parteitag in Münster Revue passieren lasse, ist mein Eindruck eher umgekehrt.

Es heißt, man wisse gar nicht mehr, wo die Grünen stünden.

Bei der Vielzahl der Varianten an Regierungsbeteiligungen ist das sicher für Außenstehende manchmal nicht einfach. Wir haben jedoch einen klar formulierten Grundkonsens, der auch von niemandem in der Partei in Frage gestellt wird. Und damit stehen wir nach wie vor für Menschenrechte, Ökologie, Demokratie, soziale Gerechtigkeit, gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern und Gewaltfreiheit. Allerdings muss das auch öfter und deutlicher artikuliert werden!

Und schließlich finden manche die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir zu langweilig. Sie ebenfalls?

Diese Frage stellt sich mir nicht: Die beiden wurden in einem aufwendigen Verfahren demokratisch gewählt, an dem sich alle Parteimitglieder beteiligen konnten. Das ist doch spannend, vor allem wenn ich mir die undemokratische 100-Prozent-Inthronisierung eines Herrn Schulz oder das Abnicken der scheinbar alternativlosen Frau Merkel betrachte.

In Schleswig-Holstein wird es nun eine Jamaika-Koalition geben. Gleiches könnte im Bund passieren. Was würde das denn für Ihre Partei bedeuten?

Eine Herausforderung, die – wenn sie denn zustande kommt – auch gemeistert werden wird. Bei dem „Wenn“ sehe ich allerdings auf Bundesebene ganz andere Hürden als in Schleswig-Holstein. Dort gibt es zum Beispiel keine Rechts-Außen-CSU mit den Versuchen, die AfD rechts zu überholen. Mit der kann ich mir eine Koalition beim besten Willen nicht vorstellen! Bei Jamaika müssen wir die Gefahr sehen, dass die Grünen zwischen zwei neoliberalen Parteien zerrieben werden.

Bleibt den Grünen bei der Schwäche der SPD und dem Radikalismus mancher in der Linkspartei denn überhaupt etwas anderes übrig?

Ja, klar: Eine starke Rolle in der Opposition. Hier finden sich mehr Möglichkeiten als zuletzt – nebenbei bemerkt – von beiden Oppositionsparteien genutzt wurden. Den zweiten Atomausstieg 2011 zum Beispiel haben die Grünen aus eben dieser Oppositionsrolle heraus diktiert.

Kann es nicht auch sein, dass Sie und die Parteilinken auf dem falschen Dampfer sind und die Zeiten, in denen die Grünen aus einem permanenten Protest-Gestus heraus Politik machen könnten und sollten, einfach vorüber sind? Schon Joschka Fischer war zum Schluss ja mehr als angepasst. Und er ist jetzt schon seit zwölf Jahren kein Minister mehr.

Erstens: Wir Parteilinken sind „auf dem richtigen Dampfer“, wir kämpfen für unsere Position in der Partei, haben Einfluss und korrigieren durchaus „Kursausschläge“, die in die falsche Richtung zu laufen drohen. Wo – schätzen Sie – stünden die Grünen heute, hätte es in den letzten zwölf Jahren keinen linken Flügel in der Partei gegeben? Ich vermute, in der Bedeutungslosigkeit!

Zweitens: Aus dem „Protestmodus“ bin zumindest ich und sind 98 Prozent des so genannten linken Flügels seit Jahrzehnten raus! Wir machen konstruktive Vorschläge, setzen uns für unsere Überzeugungen ein und versuchen Mehrheiten dafür in der Partei zu finden. Oft gelingt uns das, manchmal nicht. Diese „manchmal-nicht“-Fälle werden dann häufig als das „Aus“ der Linken bei den Grünen fehlinterpretiert und führen zu Fragen wie dieser!

Bleiben Sie trotz dem bei den Grünen, wenn in Berlin Jamaika kommen sollte?

Das wäre für mich kein Grund, die Partei, der ich seit 24 Jahren aktiv angehöre, zu verlassen. Ich werde dann dafür kämpfen, dass Jamaika – falls es keine andere Alternative einer grünen Regierungsbeteiligung geben sollte – so ausgestaltet wird, dass die „grüne Handschrift“ sehr deutlich erkennbar wird. Das bedeutet auch, dass es bei der Union eine deutliche Abkehr zum Beispiel von der Einschränkung demokratischer Grundrechte, eine Abkehr der vom Rechtsaußen-Flügel der Union diktierten aktuellen Asylpolitik mit Abschiebungen in das Kriegs- und Bombenterrorland Afghanistan, eine Nachjustierung in der Atompolitik mit der sofortigen Abschaltung der beiden Fukushima-Reaktoren in Gundremmingen und einiges mehr geben muss.

Kann es dann auch sein, dass sich der linke Flügel irgendwann abspaltet?

Die Gefahr der Spaltung einer Partei mit einer derartigen Bandbreite wie aktuell bei den Grünen ist immer latent vorhanden. Ein mit wenig grünen Zielen ausgestatteter, von der Parteiführung durchgedrückter Koalitionsvertrag – mit wem auch immer, das gilt auch umgekehrt für Rot-Rot-Grün – würde zu einer nicht ganz geringen Zahl von Austritten des jeweils anderen „Flügels“ führen. Eine Abspaltung in dem Sinn, dass etwa 30 Prozent austreten würden, sehe ich aktuell nicht.

Das kann sich aber – wie wir in Frankreich gerade erlebt haben – auch ganz schnell ändern. Mit „En Marche“ ist in unserem politisch nicht so völlig anderen Nachbarland gerade innerhalb eines Jahres eine neue Partei entstanden, welche vermutlich die mit Abstand stärkste im neuen Parlament wird. Eine derartige Erneuerung der Parteienlandschaft in Deutschland würde ich mir auch wünschen. CDU, CSU, SPD und FDP haben „fertig“.