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Gregor Gysi im MZ-Interview Gregor Gysi im MZ-Interview: Über Selbstironie und Abwehr

30.09.2015, 06:34
Noch bis zum 13. Oktober Fraktionschef der Linken: Gregor Gysi
Noch bis zum 13. Oktober Fraktionschef der Linken: Gregor Gysi dpa Lizenz

Berlin - Seit 2005 ist Gregor Gysi Chef (67) der Linksfraktion im Bundestag. Am 13. Oktober gibt er das Amt auf. Im MZ-Gespräch blickt Gregor Gysi zurück auf 25 Jahre deutsche Einheit und seinen eigenen Beitrag dazu. Mit ihm sprachen Markus Decker und Holger Schmale.

Herr Gysi, Sie ziehen sich genau 25 Jahre nach der deutschen Einheit aus der ersten Reihe zurück. Ist das Zufall oder ein symbolischer Akt?

Gysi: Das ist ein Zufall, aus dem ein symbolischer Akt wurde. Ich glaube, ich habe den Zenit meines Ansehens erreicht, und deshalb ist das jetzt der richtige Zeitpunkt.

Gab es innere Kämpfe?

Gysi: Ich habe die Entscheidung ja schon 2013 getroffen und in einem gar nicht so kleinen Kreis mitgeteilt. Aber die haben mich offenkundig nicht ernst genommen oder mir nicht geglaubt, weil sie dachten: Der kann ohne solche Politik nicht sein. Das stimmt aber nicht. Manche trauern einem vergangenen Abschnitt immer nach. So bin ich nicht.

Sie sind ja schon das eine oder andere Mal zurückgetreten und dann doch wiedergekommen…

Gysi: Ich bin nur einmal zurückgetreten, als Berliner Wirtschaftssenator. Da war ich dann ganz raus aus der Politik und wäre es auch geblieben, wenn nicht Oskar Lafontaine mich 2005 gefragt hätte, ob wir gemeinsam die PDS und die WASG zusammenbringen. Der Gedanke war für mich reizvoll, weil ich wusste, dass die PDS aus historischen Gründen untergehen musste. Und hier gab es plötzlich die Chance, daraus eine bundesweite Linkspartei zu machen. Das war etwas Neues. Und deshalb habe ich ihm gesagt: Gut, dann machen wir das zusammen.

Nach Ihrem Rückzug als Fraktionschef im Jahr 2000 hat Ihr Nachfolger Roland Claus die Situation so beschrieben: Gysi nach Gysi ist für Gysi ein Problem.

Gysi: Ja, furchtbar. Ich kann Ihnen genau sagen, wie das war. In der ersten Fraktionssitzung nach dem Wechsel habe ich die ganze Zeit kein Wort gesagt. Am Schluss, unter Verschiedenes, habe ich mich dann gemeldet und gesagt: Wenn man hier unten sitzt, ist man irgendwie schlecht informiert. Da mussten alle lachen, weil ich mir diesen Vorwurf jahrelang hatte anhören müssen.

Und jetzt haben Sie mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gleich zwei Nachfolger, die sich aber eher hassen als mögen, oder?

Gysi: Das stimmt nicht, die sprechen sich gut ab. Das Problem ist: Beide müssen begreifen, dass sie einen Kompromiss für die Fraktion und die Partei finden, weniger für sich. Und sie müssen den Mehrheitswillen der Fraktion repräsentieren. Ich hoffe, dass das beide können. Dann hat das Ganze eine Chance.

Wenn nicht, kommen Sie wieder?

Gysi: Bestimmt nicht. Ich leite die Fraktion bis zum 13. Oktober, und dann ist Schluss. Ich freue mich schon auf den 14. Es gab noch keine Sekunde, in der ich meine Entscheidung bedauert hätte. Ich schließe diesen Lebensabschnitt in mir ab, bleibe natürlich ein politisch denkender, handelnder und wahrnehmbarer Mensch, aber auf andere Art und Weise.

Auf welche denn?

Gysi: Ich werde in der Fraktion ein bisschen Außenpolitik machen, ich werde mich intensiver um meinen Wahlkreis kümmern, dann habe ich Idiot einen Buchvertrag für eine Autobiografie unterschrieben, das kostet mich Kraft und Schweiß. Ich will keinen Ghostwriter, das muss ja mein Stil sein, aber wie ich da Ordnung reinbringen soll, weiß ich noch nicht. Außerdem werde ich meine Meetings im Deutschen Theater ein wenig ausbauen.

Aus der nächsten Seite erfahren Sie unter anderem, ob Gysi der DDR hinterhertrauert und wie er mit dem Hass vieler Abgeordneter im Bundestag umging.

Am 3. Oktober 1990 – waren Sie da eigentlich traurig, dass die DDR aufhörte zu existieren?

Gysi: Ich war verspannt und gespannt. Wir hatten ja eine Funktion, die alle anderen Parteien ablehnten: Ost-Eliten - einschließlich der mittleren Funktionärsebene - in die deutsche Einheit zu führen. Das haben sie alleine uns überlassen. Das war auf der einen Seite eine schwere Aufgabe, auf der anderen hat es uns intellektuell gestärkt. Ich wusste am 3. Oktober vor welch schwieriger Situation wir stehen, und ich wusste, dass ich jetzt Mitglied des Bundestages werde. Darauf habe ich mich auch ein wenig gefreut, ich schätze ja neue Herausforderungen. Gleichzeitig war ich völlig verspannt, weil ich überhaupt nicht wusste, ob ich das meistere oder daran scheitere.

Sie waren am Anfang im Bundestag bei vielen Abgeordneten ja regelrecht verhasst, wie sind Sie damit umgegangen?

Gysi: Ich habe mich gezwungen, nicht zurückzuhassen. Ich habe mich bemüht, meinen Humor zu behalten und nicht nur ironisch zu sein, sondern auch selbstironisch. Wobei ich nicht bestreiten will, dass Selbstironie auch eine Form von Arroganz ist. Aber sie ist auch ein Abwehrmittel.

Wenn die SPD sich 1989/90 für ehemalige SED-Mitglieder geöffnet hätte, wie es diskutiert wurde, wäre das für Sie eine Versuchung gewesen?

Gysi: Nee, aber es wäre tödlich für meine Partei gewesen. Wenn der pragmatische Teil der SED-Genossen in die SPD gegangen wäre, wäre das eine strukturell und intellektuell starke Partei geworden. Dass das abgelehnt wurde, war für uns eine Rettung, denn wenn ich mit der Kommunistischen Plattform allein geblieben wäre, hätte ich auch gesagt: Tschüss, das macht mal ohne mich. Ich glaube nicht, dass ich in die SPD gegangen wäre. Dann hätte ich eben nur als Anwalt gearbeitet, Punkt.

Wie unterscheidet sich, ganz pauschal gesagt, das Deutschland von 1990 von dem 2015?

Gysi: Enorm. Das Deutschland von 1990 war so mit sich beschäftigt und brauchte noch Genehmigungen vom Ausland. Heute ist Deutschland in einem großen Maße verantwortlich für Europa und darüber hinaus und genehmigt zum Teil selbst. Ob mir letzteres so gefällt, weiß ich gar nicht. Aber es ist ein gravierender Unterschied.

Verkörpern Sie diesen Wandlungsprozess selber? Ihre 25-jährige Nachwendekarriere stimmt ja genau mit diesem Zeitraum überein.

Gysi: Aber ich bitte Sie! Ich bin doch nicht gewöhnlicher Durchschnitt (lacht). Im Ernst: Auf der einen Seite bin ich wirklich gequält worden. Wobei die alle übersehen haben, dass in mir auch ein Preuße steckt. Wenn die nett gewesen wären zu mir im Bundestag 1990, wäre ich wahrscheinlich schon nach vier Jahren gegangen. Aber dann bin ich so stur geworden, dass ich selber über mich gestaunt habe. Auf der anderen Seite habe ich eine Bereicherung erfahren wie wenige aus dem Osten. Wo ich überall war, mit wem ich sprechen konnte – von Mitterrand bis Nelson Mandela oder Fidel Castro. Wer konnte das schon. Ich war privilegiert. Deshalb bin ich auch immer vorsichtig mit der Beurteilung. Wenn ich mit 42 nicht in den Bundestag gekommen, sondern arbeitslos geworden wäre und bis zur Rente nichts mehr gefunden hätte, würde ich natürlich die Einheit völlig anders sehen. Aber so muss ich mich auf der einen Seite beschweren, auf der anderen auch dankbar sein.

Sehen Sie sich selber als ein Stück deutsche Geschichte?

Gysi: Na ja, das ist nun auch ein bisschen übertrieben. Aber ich bin stolz auf meinen Beitrag, große Teile ostdeutscher Eliten mit in die Einheit geführt zu haben, die ganze Funktionärsschicht der DDR, und das waren sehr viele. Wie kriegt man die in dieses Land hinein, wenn sie keiner will? Das war alles nicht so leicht. Zweitens habe ich einen Beitrag dazu geleistet, dass es in der Gesellschaft inzwischen als normal empfunden wird, dass eine Linke im Bundestag sitzt. Das war in der alten Bundesrepublik vor 1990 undenkbar. (mz)