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Geschichte Geschichte: «Nazis haben SED-Karriere gemacht»

15.12.2009, 11:09

Jena/dpa. - Nazis haben in der DDR durchaus Karriere gemacht.Die Staatspartei SED habe trotz des antifaschistischenGründungsmythos' der DDR ehemalige NSDAP-Mitglieder aufgenommen,sagte Historiker Dietmar Remy im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Allein für die drei Thüringer Bezirke Gera, Suhl undErfurt konnte bei 36 SED-Kreissekretären eine Mitgliedschaft in derHitler-Partei belegt werden. «Die Stunde Null hat es - anders als vonder DDR behauptet - nicht gegeben. Das gilt auch in personellerHinsicht.» Die Ergebnisse der Universität Jena sollen ab Dienstag beieinem zweitägigen Workshop erstmals vorgestellt werden.

Recherchiert haben die Forscher im Berlin Document Center, in demlaut Remy rund 80 Prozent der NSDAP-Mitgliederkartei vorhanden ist.Von den 441 SED-Sekretären in den Thüringer Bezirken waren 263 bisKriegsende volljährig. Von ihnen hatte fast jeder siebte einParteibuch der Nazis, erklärte der Historiker. Er gehe davon aus,dass dieser Anteil in anderen Regionen ähnlich war; wenn nicht sogarnoch höher, etwa in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, wo besondersviele Vertriebene angesiedelt wurden. Sie konnten etwaige brauneVerstrickungen besser verheimlichen, da ihre Selbstauskünfte schwerzu prüfen waren.

Von den 36 Thüringer Fällen hätten 35 ihre Mitgliedschaft bei denNazis verschwiegen - darunter auch Hans Bentzin, der in den 1960erJahren zum Kulturminister aufstieg. «In der ersten Phase brauchte manAufbauhelfer, und man hatte weder die Ressourcen, noch war man daraninteressiert, die Personen so genau zu überprüfen», erklärte Remy.Wenn sich jemand dann doch einem anderen Genossen anvertraute, seimitunter ein Auge zugedrückt worden nach der Devise: Es kommt nichtdarauf an, was jemand früher gemacht hat, sondern wo er heute steht.

Karrieren trotz bekannter Nazi-Vergangenheit waren vor allem inder Wirtschaft möglich, wie Remy am Beispiel von Zeiss in Jenaerläuterte. So habe Rudolf Müller, vormals Mitglied in der NSDAP undder SA, beim Aufbau der Zeiss-Werke entscheidend mitgewirkt und seibis zum stellvertretenden Generaldirektor aufgestiegen. Auch derspätere Zeiss-Generaldirektor Wolfgang Biermann sei NSDAP-Mitgliedgewesen.

«Aber diese Leute waren dadurch erpressbar», konstatierte derHistoriker. So habe Müller mit dem Vorwurf, als ehemaliger Nazi denBetrieb heruntergewirtschaftet zu haben, in den 1970er Jahren seinePosten verloren. Vor allem in politischen Krisenzeiten hätten dieseMenschen gefährlich gelebt - etwa nach dem Volksaufstand vom 17. Juni1953. «Dann sind sie rasch unter Generalverdacht geraten», erklärteRemy. Zudem konnte jeder Politikwechsel ihre Karriere beenden. «Siewaren den Launen der Partei ausgesetzt.»