Georgien Georgien: Nach «Rosenrevolution» 2003 wurde es für viele schwieriger

Tiflis/dpa. - Damals, im November 2003, kurz nach Ergebnisfälschungen bei derParlamentswahl, rief Choperia in ihrer politischen Talk-Show«Nacht-Kurier» die Zuschauer auf, gegen den Präsidenten EduardSchewardnadse und sein korruptes Staatssystem zu protestieren.Zehntausende gingen tagelang unter der Führung des damaligenOppositionsführers Michail Saakaschwili in der Hauptstadt auf dieStraße. Die Stimmung wurde immer hitziger und aufgebrachter - bisSchewardnadse aufgab und seinen Rücktritt erklärte. Die Rose, dieSaakaschwili beim Sturm auf das Parlament in der Hand hielt, wurdezum Symbol des friedlichen Machtwechsels.
«Wir mussten uns verteidigen, einen Bürgerkrieg verhindern», sagtChoperia zu den Ereignissen vor fast einem Jahr. Vor ihr sitzenStudenten der Universitäten Hamburg und Tiflis, die den Sender mitdem schwarz-roten Logo besuchen. Eine deutsche Studentin will esgenau wissen; sie fragt, ob die Aufgabe von «Rustawi 2» nichtvielmehr gewesen sei, über die Ereignisse zu berichten, als sie durchProtest-Aufrufe zu beeinflussen. «Nein» - energisch schütteltChoperia den Kopf, zieht kurz an der Zigarette. Ihre Stimme wirdeindringlich: «Es ging um unser Land, unsere Kinder, unser Leben.»
Nach der «Rosenrevolution» ist es für ihren Sender schwierigergeworden: Damals noch Oppositionskanal hat «Rustawi 2» heute den Ruf,Regierungssender zu sein. Das bestreitet Choperia. Generell sei einekritische Berichterstattung aber nicht mehr so einfach, weil sichder heutige Präsident Saakaschwili und seine Regierung zu verkaufenwüssten. Fast täglich bestimmt er mit seiner stämmigen Gestalt, stetswie ein Lausebube lächelnd mit neuen Projekten die Nachrichten. Das Volk ist seit der «Rosenrevolution» im «Mischa-Taumel».«Mischa» - so nennen die Georgier liebevoll Saakaschwili. Bei derweitgehend freien Präsidentenwahl errang er eine sagenhafteZustimmungsrate von 96 Prozent. «"Mischa"» und seine Frau Sandra sindsehr, sehr gut für uns», sagt Wachtang Kobeschawidse. Der braungebrannte 79-Jährige ist Aufsicht im Dynamo-Stadion in Tiflis.Stolz erzählt er, dass in dem grauen Beton-Rondell unweit des Basarsder Stadt unter anderem die georgische Nationalmannschaft spielt.
Kobeschawidse, früher Professor für Landwirtschaft, hatSaakaschwili im Januar gewählt. «"Mischa" wird das Richtige für unstun», sagt der alte Mann mit den weißen Haaren und schwärmt vomReichtum Georgiens, seinen Weintrauben und Zitrusfrüchten. Deshalbmüsse die Landwirtschaft dringend weiter entwickelt werden, sie seiein wichtiges Standbein für das Land. «Mischa» ist KobeschawidsesHoffnung auf ein besseres Georgien und ein besseres Leben. Der 36-jährige Präsident hat versprochen, das von Bürgerkriegen gezeichneteLand aufzubauen und wiederzuvereinigen. Die abgespaltenen ProvinzenSüdossetien und Abchasien will er in den georgischen Staatzurückholen.
Wie ein Mahnmal erscheint da das 22-stöckige zerfallene«Iweria»-Hotel mitten in Tiflis an der schmucken Rustaweli-Avenue.Viele der Balkone sind mit Brettern zugenagelt, das Schild «Iweria»rostet vor sich hin. Mehr als 1000 abchasische Vertriebene haben hierbis vor wenigen Wochen gewohnt - oft zu dritt und viert in einemZimmer. Sie waren elf Jahre zuvor vor dem Krieg in der georgischenSchwarzmeerprovinz nach Tiflis geflohen und hatten sich in demehemaligen Vier-Sterne-Hotel einquartiert. Jetzt steht das Gebäudeleer. Die 330 registrierten abchasischen Familien wurden umgesiedelt.Sie bekamen von den Aktionären des Hotels je 7000 Dollar, um sicheigene Wohnungen zu kaufen.
«Wir wissen noch nicht, ob das Gebäude jetzt abgerissen oderrenoviert wird», sagt Wachtang Zschadadse, der Direktor des Hotels.Die Schäden seien beträchtlich - sie gehen in die Millionenhöhe. DieWände sind verschimmelt, Tapeten hängen in Fetzen herunter, dieTreppenhäuser gleichen Müllhalden. Zschadadse hat das Elend in denvergangenen Jahren verwaltet. Nur das rote und das türkisfarbeneTelefon mit den vielen Knöpfen erinnern noch an den Glanz alterZeiten. «Sie standen nie still, es haben ständig Leute angerufen. Wirwaren ja auch das beste Hotel im Kaukasus», sagt der 62-Jährige undschaut auf die Apparate, die heute nur noch selten klingeln.
Saakaschwili möchte gern ein modernes Geschäftszentrum aus dem«Iweria» machen. Eins, das zu dem aufstrebenden Georgien und seinerHauptstadt passt. Vor dem herunter gekommenen Hotel fahren schweredunkle Autos, viele mit diplomatischen Kennzeichen, den Rustaweli-Prospekt entlang. Sie ziehen an den alten klapprigen Taxen undKleinbussen vorbei, passieren die Luxus-Hotels, die prächtigverzierte Oper, die klimatisierten Restaurants und die kleinenVerkaufsstände, an denen es Getränke und Zeitungen gibt. Was dieFahrer der teuren westlichen Wagen nicht sehen, sind die altenFrauen, die auf den Stufen der Straßenunterführungen hocken, umSonnenblumenkerne für ein paar Lari zu verkaufen oder Fußgängeranbetteln.
Wenige Meter weiter auf dem frisch renovierten Parlamentsgebäudeflattert eine der vielen Flaggen der Europäischen Union im Wind.Saakaschwili will Georgien zum demokratischen Zipfel im Kaukasus, demäußersten Südosten Europas, machen - langfristig sogar alsMitglied von NATO und EU. Um dieses Ziel allen zu verdeutlichen, hatSaakaschwili an den öffentlichen Gebäuden auch die blaue EU-Fahneaufhängen lassen, wo sie im gleichen Rhythmus mit der georgischen demWind folgt.
«Georgien ist eine europäische Nation. Die künstliche Grenze desKommunismus ist weg, dadurch sind wir wieder dichter an Europagerückt und Europa an uns. Unser oberstes und langfristiges Ziel istes, Mitglied der EU zu werden», sagt David Bakradse. Auf seinerVisitenkarte steht in goldenen und schwarzen Lettern: Vorsitzenderdes Komitees für die europäische Integration im georgischenParlament. 21 Politiker gehören zu seiner Arbeitsgruppe. «Wir musstenParlamentarier aussuchen, es gab mehr Bewerber als Plätze», sagtBakradse lächelnd und lehnt sich in seinem Ledersessel zurück. DerPolitiker im eleganten Anzug gehört zu der neuen Generation dergeorgischen Politiker - jung, smart, gut ausgebildet und weltgewandt.Ganz wie der Präsident, der an der Columbia-Universität in New YorkJura studiert hat und fließend Englisch und Französisch spricht.
Seine Kollegin Tamar Beruchaschwili spricht von der großen ChanceGeorgiens. «Durch die "Rosenrevolution" haben wir jetzt eine guteBasis, der EU beizutreten.» Die Ministerin für die europäischeIntegration Georgiens hat ihr großzügiges Büro ein paar Straßenweiter im Präsidialamt, das zu Schewardnadses Zeiten mit einem Zaunumgeben war, weil er Angst vor «seinem» Volk hatte. Beruchaschwilispricht gerne über die ehrgeizigen Ziele ihres Landes. Sie hebt ersteFortschritte hervor: Die neue Verfassung folge dem EU-Standard, undder Kampf gegen die Korruption sei fortgeschritten. Viele derehemaligen Offiziellen würden im Gefängnis sitzen. Gleichzeitig räumtsie ein, dass ihr Land noch sehr viel tun müsse, um den ewigenTeufelskreis von Armut, Korruption, Staatsversagen und Gewalt zudurchbrechen - ein schweres Unterfangen, das ohne finanzielle Hilfeaus dem Westen nicht zu schaffen sei.
«Es hat sich zum Glück viel nach der "Rosenrevolution" getan, aberdie Lage ist weiterhin irgendwie unsicher», beschreibt MananaMeschischwili ihre Eindrücke. Nachdenklich spielt die Lektorin fürZivilrecht an der Technischen Universität mit ihren schwarzen Locken.Die 25-Jährige erzählt dabei von ihren Verwandten auf dem Land, dieseit Monaten keinen Strom haben, und von der Korruption, die es immernoch gebe.
Zwar befürwortet die junge Frau die EU-Mitgliedschaft Georgiens,sieht aber die Gefahr eines Identitätsverlusts, vor allem bei denjungen Leuten. «Wir haben etwas ganz eigenes Georgisches, nichtsEuropäisches oder Asiatisches, sondern speziell Georgisches, wieunsere Sprache, die sich keiner Sprachfamilie zuordnen lässt. Dasmüssen wir uns erhalten, auch wenn der Einfluss Europas und der USAwächst», sagt die Juristin. Georgien mit seinen weniger als fünfMillionen Einwohnern sei zwar nur ein kleines, aber als Brückezwischen Europa und Asien bedeutsames Land.