Flüchtlinge in Deutschland Flüchtlinge in Deutschland: Flüchtlingskrise wird zu Angela Merkels größter Herausforderung
Berlin - Monatelang hat die Bundesregierung vor dem Flüchtlingsstrom aus dem Mittleren Osten, dem Balkan und Afrika die Augen verschlossen. CDU-Kanzlerin Angela Merkel war ganz mit der Griechenland-Krise beschäftigt, und Innenminister Thomas de Maizière glaubte, die gewaltige Herausforderung von mindestens 800.000 Asylbewerbern in diesem Jahr auf dem Verwaltungsweg administrieren zu können. Jetzt endlich scheint die Politik die Dimension des Themas zu erkennen. „Alles muss schnell gehen“, sagte Merkel am Wochenende. Aber was konkret? Darum dürfte es vor allem bei der Sommerpressekonferenz der Regierungschefin am heutigen Montag um 13.30 Uhr gehen.
Viereinhalb Stunden berieten die Unions-Spitzen bereits am Sonntagabend im Kanzleramt über die Lage. Zuvor skizzierte de Maizière in der ARD einen Zeitplan für politische Weichenstellungen skizziert: „Der September ist der Monat der Entscheidungen“, versprach der CDU-Mann.
Die wichtigen Etappen sind:
- 6. September: Am kommenden Sonntag kommt der Berliner Koalitionsausschuss zusammen. Dort geht es um die Frage, auf welche konkreten Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren, zur besseren Integration der Bürgerkriegs-Flüchtlinge und zur Reduzierung der Bewerberzahlen von reinen Armutsmigranten sich Union und SPD einigen können.
- 14. September: Sondersitzung der Innen- und Justizminister der 28-EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel. Es geht um die einheitliche Festlegung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten, aus denen in der Regel kein Asyl beantragt werden kann, die Einrichtung von Registrierungszentren in Südeuropa und die gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa.
- 24. September: Bund-Länder-Flüchtlingsgipfel in Berlin. „Da sollen Entscheidungen fallen zu Geld und Gesetzesänderungen“, kündigte de Maizière an. Vor allem gehe es um viel Geld. Die SPD fordert, dass die Kommunen statt der versprochenen einen Milliarde nun drei Milliarden Euro für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge erhalten. Möglicherweise muss die Summe sogar noch aufgestockt werden.
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Albanien und Kosovo als sicheres Herkunftsland
Die einzelnen Vorhaben haben eine sehr unterschiedliche Realisierungschance. So ist sich die große Koalition im Prinzip einig, dass weitere Balkanländer wie Albanien und der Kosovo zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen. Derzeit kommen 40 Prozent der Flüchtlinge vom Westbalkan, doch ihre Asylanträge werden fast sämtlich abgelehnt. „Wir müssen unsere Kräfte jetzt auf Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern und politisch Verfolgte konzentrieren“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Deutschland könne sich nicht auch noch um diejenigen kümmern, die ein besseres Leben suchen. Für diesen Personenkreis müsse es ein Einwanderungsgesetz geben. Ein solches Gesetz allerdings stößt in Teilen der Union auf Widerstand.
Den Grünen ist es hingegen wichtig – und auf deren Hilfe ist die Koalition im Bundesrat angewiesen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Sonntag im ZDF, er sei „offen“ für die Festlegung weiterer sicherer Herkunftsstaaten, „wenn nachgewiesen wird, dass es etwas bringt und wenn die Tore für legale Migration geöffnet werden“. Im Bundesrat braucht Schwarz-Rot noch die Unterstützung eines weiteren Bundeslandes neben Baden-Württemberg, an dessen Regierung die Grünen beteiligt sind.
Einigung der EU unwahrscheinlich
Sehr viel unwahrscheinlicher scheint eine Einigung der EU auf die gerechtere Verteilung der Flüchtlinge. Derzeit drängt der Großteil nach Deutschland. Viele Länder wie Großbritannien, Irland, Finnland, Polen und die baltischen Staaten weigerten sich, Asylsuchende aufzunehmen, beklagte der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), am Montagmorgen im Deutschlandfunk: „Wir erleben nationalen Egoismus in seiner reinsten Form.“ Schulz nannte es eine „Schande“, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Sondergipfel gerade einmal auf die Unterbringung von 40.000 Flüchtlingen einigen konnten. Die Wut ist verständlich. Dass sich die Innen- und Justizminister in dieser festgefahrenen Situation auf gemeinsame Quoten einigen können, erscheint praktisch ausgeschlossen.
Das Flüchtlingsthema nämlich ist längst Chefsache in den Hauptstädten. Langsam scheint das auch Angela Merkel zu dämmern. Nicht die Griechenland-, sondern die Flüchtlingskrise wird zur Nagelprobe ihrer Kanzlerschaft. In einer Ausnahmesituation müsse Deutschland in der Lage sein, 800.000 Flüchtlinge aufzunehmen, sagt SPD-Mann Oppermann: „Ob das auf Dauer geht, ist eine andere Frage.“