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Extra Extra: Gubens rechte Szene hat Hetzjagd-Urteil überlebt

Von Bettina Grachtrup 08.10.2002, 08:44

Cottbus/Leipzig/dpa. - Dreieinhalb Jahre ist es her, als der algerische Asylbewerber Farid Guendoul in Guben auf der Flucht vor rechten Jugendlichen ums Leben kam. Der 28-Jährige, der dort unter dem Namen Omar Ben Noui lebte, sprang in Panik durch die Glasscheibe einer Haustür in der südbrandenburgischen Stadt und verblutete an seinen Schnittverletzungen.

Im Prozess gegen elf Angeklagte verhängte das Landgericht Cottbus im November 2000 Jugendhaftstrafen bis zu drei Jahre ohne Bewährung. Am 9. Oktober entscheidet der fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Leipzig, ob das so genannten Hetzjagd- Verfahren neu aufgerollt werden muss.

Auf dem Prüfstand steht ein Urteil, das schon kurz nach der Verkündung umstritten war. Von den Angeklagten, die zur Tatzeit zwischen 17 und 20 Jahre alt waren, wurden nur acht der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Politiker bewerteten die Strafen als zu milde. Dagegen warfen Anwälte den Medien und Politikern vor, ein Zerrbild von den Ereignissen zu malen. Sie stritten auch rassistischen Motive ihrer Mandanten ab, die zum Teil im Gericht im schwarzen Outfit, mit Springerstiefeln und Glatzen erschienen waren.

«Wir hätten uns eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge gewünscht», sagt die Berliner Anwältin Christina Clemm, die die Hinterbliebenen in der Nebenklage vertritt. Die Angeklagten hätten nicht fahrlässig gehandelt. «Sie wollten bewusst jemanden verletzten», sagt Clemm. Sie will erreichen, dass die Tat durch einen neuen Schuldspruch mit möglicherweise höheren Strafen strenger gewertet wird. Dass der BGH die beantragte Revision nicht gleich schriftlich verwarf, sondern mündlich verhandelt, wertet sie bereits als positives Zeichen.

Auch die Anwälte der meisten Beschuldigten legten Revision ein - allerdings, um ein geringeres Strafmaß zu erreichen. So meint Helmut Dittberner, seinem Mandanten sei nicht direkt eine Schuld nachzuweisen. Er wurde zu drei Jahre Haft ohne Bewährung verurteilt. Sein Kollege Uwe Hartung sieht ebenfalls keine fahrlässige Mittäterschaft: «Es gab hier keinen gemeinsamen Tatbeschluss.»

Hartungs Schützling ist einer der mutmaßlichen Rädelsführer. Er wurde zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Der heute 23- Jährige fiel seitdem durch weitere Gewalttaten auf und sitzt deshalb nach Angaben seines Anwalts wieder in Untersuchungshaft.

Die rechte Szene in Guben hat sich unterdessen kaum geändert, wie Dirk Wilking von dem Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sagt. «Die bleiben natürlich Nazis, treten aber nicht mehr so offensiv auf.» Er geht von rund 120 jungen Rechtsextremisten in Guben und Umgebung aus.

Die Verurteilten seien ursprünglich zwei Gruppen gewesen - eingefleischte Rechte und kleinkriminelle Mitläufer. «Dieser Unterschied wurde in dem Prozess nicht genügend herausgestellt», kritisiert Wilking. Einige der Verurteilten seien Nazis geblieben, andere aber erst durch den gemeinsamen Prozess in die rechte Szene gerutscht. Von manchen Beschuldigten habe man dagegen seit dem Urteil nichts mehr gehört.

Zur Verhandlung am 9. Oktober werden voraussichtlich auch die beiden Brüder des Toten Farid Guendoul aus Algerien nach Leipzig kommen, wie Kay Wendel von der Opferperspektive in Potsdam sagt. Eine Spendenaktion brachte rund 40 000 Euro ein; mit etwa der Hälfte des Geldes wird die Revision bezahlt. Sollten die Angeklagten aber letztlich mit geringeren Strafen davonkommen, wäre das den Hinterbliebenen wohl schwer zu erklären. Die ersten Urteile hatten sie fassungslos entgegengenommen und als Skandal bezeichnet.