Hohn und Spott im Netz Deutscher Botschafter nach Satire-Video einbestellt: Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan erntet Hohn und Spott

Berlin - Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor gut zwei Monaten den Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas empfing, konnte man kurzzeitig den Eindruck gewinnen, der finster blickende Autokrat verfüge über einen trockenen Humor: Eingerahmt von 16 Schauspielern in Ritterrüstungen erwartete er wie bei einem Faschingsball den Gast auf der Treppe seines Prunk-Palastes. Doch spöttischer Witz ist Erdogan ähnlich fremd wie der Gedanke der Meinungsfreiheit: Kurz darauf ließ er scharf gegen einen Wagen im Düsseldorfer Karnevalszug protestieren, der seine Kurdenpolitik aufs Korn nahm.
Nun hat der türkische Staatschef, der zuletzt vermehrt Journalisten und Blogger wegen „Präsidentenbeleidigung“ vor Gericht brachte, gegen einen ironischen Fernsehbeitrag des NDR interveniert. Am vorigen Dienstag wurde der deutsche Botschafter Martin Erdmann in Ankara ins Außenministerium einbestellt. In diplomatischen Kreisen heißt es, man habe ihn aufgefordert, die Veröffentlichung eines zweiminütigen Videos zu stoppen, das Mitte März in der Satiresendung „Extra 3“ gelaufen war. Darin heißt es über Erdogan: „Er lebt auf großem Fuß, der Protz vom Bosporus“. Auch die Angriffe auf die Pressefreiheit in der Türkei werden thematisiert: „Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“
Die Einbestellung des Botschafters scheint die These des Satirebeitrags, der aus Originalaufnahmen und Liedkommentaren montiert wurde, zu bestätigen. Doch auch Berlin verhielt sich, wie in der Satire beschrieben. Dort werden Bilder eines Treffens zwischen dem türkischen Präsidenten und Kanzlerin Angela Merkel, bei dem beide die Hände schütteln, mit dem Text unterlegt: „Sei schön charmant, denn er hat Dich in der Hand.“ Weder das Auswärtige Amt noch das Kanzleramt wollten am Dienstag den Protest der Türkei kommentieren.
„Gewöhnt euch dran“
Anderswo fielen die Reaktionen dafür umso heftiger aus - freilich nicht in Erdogans Sinn. „Für die Grünen wäre klar, was unser Botschafter antworten würde“, twitterte Grünen-Chef Cem Özdemir: „Wenn Ihr in die EU wollt, gewöhnt Euch daran.“ Auch Politiker von SPD und Linkspartei gingen auf Distanz. In den Sozialen Medien machten sich in Windeseile Hohn und Spott breit. Viele Twitter-Nutzer forderten dazu auf, den umstrittenen Spot jetzt erst Recht zu verbreiten. Tatsächlich war der Song bei Youtube bald englisch untertitelt. Seit Bekanntwerden der Affäre wurde er mehr als 600.000 Mal aufgerufen und angeschaut.
Zumindest außerhalb der Türkei scheint Erdogan also das Gegenteil dessen erreicht zu haben, was er anstrebte. Demonstrativ erklärte NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz, die versuchte Einflussnahme auf das Programm sei „mit unserem Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit nicht vereinbar“. Der Clip mit dem Titel „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ aber hat das Zeug zum Frühjahrs-Hit. Folgerichtig hat „Extra 3“ den Staatschef zum „Mitarbeiter des Monats“ ernannt. Eine ehrenvolle Auszeichnung. Mit Foto, hübsch gerahmt in braunem Holz und kleinem Goldrand. Eigentlich kann Erdogan dagegen nicht protestieren.