1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Hohn und Spott im Netz: Deutscher Botschafter nach Satire-Video einbestellt: Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan erntet Hohn und Spott

Hohn und Spott im Netz Deutscher Botschafter nach Satire-Video einbestellt: Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan erntet Hohn und Spott

Von Karl Doemens 29.03.2016, 08:07
Sauer: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
Sauer: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan AFP

Berlin - Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor gut zwei Monaten den Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas empfing, konnte man kurzzeitig den Eindruck gewinnen, der  finster blickende Autokrat verfüge  über einen  trockenen Humor: Eingerahmt von 16 Schauspielern in Ritterrüstungen erwartete er wie bei einem Faschingsball den Gast auf der Treppe seines  Prunk-Palastes. Doch spöttischer   Witz ist  Erdogan ähnlich fremd wie der Gedanke  der  Meinungsfreiheit: Kurz darauf ließ er scharf gegen  einen Wagen im Düsseldorfer Karnevalszug protestieren, der seine  Kurdenpolitik  aufs Korn nahm.

Nun hat der türkische Staatschef, der zuletzt vermehrt Journalisten und Blogger  wegen „Präsidentenbeleidigung“ vor Gericht brachte,  gegen einen ironischen Fernsehbeitrag des NDR interveniert. Am vorigen Dienstag wurde der deutsche Botschafter Martin Erdmann   in Ankara ins  Außenministerium einbestellt. In  diplomatischen Kreisen heißt es, man habe ihn aufgefordert,  die Veröffentlichung eines  zweiminütigen Videos zu stoppen, das Mitte März in der Satiresendung „Extra 3“ gelaufen war. Darin heißt es über Erdogan: „Er lebt auf großem Fuß, der Protz vom Bosporus“. Auch die  Angriffe auf die Pressefreiheit in der Türkei werden thematisiert: „Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“

Die Einbestellung des Botschafters scheint die These des Satirebeitrags, der aus Originalaufnahmen und  Liedkommentaren montiert  wurde, zu bestätigen. Doch auch Berlin  verhielt sich, wie in der Satire beschrieben. Dort werden Bilder eines Treffens zwischen dem türkischen Präsidenten und Kanzlerin Angela Merkel, bei dem beide die Hände schütteln, mit dem Text unterlegt: „Sei schön charmant, denn er hat Dich in der Hand.“ Weder das Auswärtige Amt noch das  Kanzleramt wollten am Dienstag den Protest der Türkei  kommentieren.

„Gewöhnt euch dran“

Anderswo fielen die Reaktionen dafür umso heftiger aus - freilich nicht  in Erdogans Sinn.  „Für die Grünen wäre klar,  was unser Botschafter antworten würde“, twitterte Grünen-Chef Cem Özdemir: „Wenn Ihr in die EU wollt, gewöhnt Euch daran.“   Auch Politiker von SPD und Linkspartei gingen auf Distanz. In den Sozialen Medien  machten sich in Windeseile   Hohn und Spott breit. Viele Twitter-Nutzer forderten dazu auf, den umstrittenen  Spot jetzt erst Recht zu verbreiten. Tatsächlich war der Song  bei Youtube bald  englisch untertitelt. Seit Bekanntwerden der Affäre wurde er mehr als 600.000 Mal aufgerufen und angeschaut.

Zumindest außerhalb der Türkei scheint Erdogan  also das Gegenteil dessen erreicht zu haben, was er anstrebte. Demonstrativ erklärte NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz, die versuchte Einflussnahme auf das Programm sei „mit unserem Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit nicht vereinbar“. Der Clip mit dem Titel „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ aber hat das Zeug zum Frühjahrs-Hit. Folgerichtig hat  „Extra 3“ den Staatschef  zum „Mitarbeiter des Monats“ ernannt. Eine ehrenvolle Auszeichnung. Mit Foto, hübsch gerahmt in braunem Holz und kleinem Goldrand. Eigentlich kann Erdogan dagegen nicht protestieren.