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Nach einem Jahr Haft Deniz Yücel kommt laut Sigmar Gabriel "ohne Gegenleistungen" für die Türkei frei

Von Kordula Doerfler 16.02.2018, 18:31
Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel und seine Frau Dilek nach Yücels Freilassung aus dem Gefängnis.
Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel und seine Frau Dilek nach Yücels Freilassung aus dem Gefängnis. DHA-Depo Photos/AP

Plötzlich ging alles ganz schnell. Seit mehr als einem Jahr saß der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel in der Türkei in Untersuchungshaft, ohne Anklage und ohne dass klar war, ob und wann ein Verfahren gegen ihn eröffnet wird.

Am Freitag aber überschlugen sich die Ereignisse. In Berlin empfing Kanzlerin Angela Merkel gerade Italiens Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni, die beiden sprachen intensiv über die Zukunft der Europäischen Union, als die Zeitung Die Welt die Freilassung Yücels bekanntgab. Wenige Stunden später konnte der Journalist das Gefängnis verlassen, am Nachmittag war er auf dem Weg zum Flughafen von Istanbul.

Yücels Anwalt Veysel Ok schrieb am Vormittag über den Kurznachrichtendienst Twitter: „Und endlich gibt es für meinen Mandanten Deniz Yücel einen Entlassungsbefehl.“ Später verbreitete er ein Bild, auf dem Yücel seine Frau Dilek Mayatürk Yücel umarmt.

Die Nachricht von seiner Freilassung wurde in Berlin gefeiert, war damit doch Bewegung in die deutsch-türkischen Beziehungen gekommen, die der Fall Yücel wie kein zweiter belastet hat. Noch am Donnerstag hatte Kanzlerin Merkel bei einem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim unmissverständlich klar gemacht, dass die Sache „eine besondere Dringlichkeit für uns hat“. Der Gast aus Ankara antwortete nur ausweichend.

Verfahren von Yücel ist noch nicht eingestellt

Yücel, der für Zeitung Die Welt als Korrespondent in der Türkei arbeitete, stellte sich am 14. Februar 2017 freiwillig den Behörden, weil ihm aufgrund mehrerer kritischer Artikel „Terrorpropaganda“ vorgeworfen wurde. Seit März vergangenen Jahres saß er im Hochsicherheitsgefängnis Silivri in der Nähe von Istanbul in Untersuchungshaft. Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu hat die Staatsanwaltschaft jetzt doch eine Anklageschrift vorgelegt, in der sie dem Journalisten „Propaganda für eine Terrororganisation“ und „Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit“ vorwirft. Sie fordert zwischen vier und 18 Jahren Haft für Yücel.

Das 32. Strafgericht in Istanbul nahm die Anklage an, das Verfahren ist also nicht eingestellt, ordnete aber die sofortige Freilassung Yücels an. Das ist in der Türkei nicht unüblich, im Oktober war auch der Berliner Entwicklungshelfer Peter Steudtner aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Er konnte das Land tags darauf verlassen, das Verfahren gegen ihn läuft aber weiter. Auch die deutsch-türkische Journalistin Mesale Tolu kam im Dezember frei, sie darf aber nicht aus der Türkei ausreisen.

Türkische Seite habe laut Gabriel keine Deals verlangt

Der amtierende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel zeigte sich am Freitag erleichtert über die Entwicklung. „Ich freue mich sehr über diese Entscheidung der türkischen Justiz. Und noch mehr freue ich mich für Deniz Yücel und seine Familie. Das ist ein guter Tag für uns alle“, sagte Gabriel. Gleichzeitig bedankte er sich bei der türkischen Regierung. Den Dank wiederholte er auch am Nachmittag bei einer Pressekonferenz im Newsroom der Welt im Springer-Hochhaus in Berlin, wohin er eigens von der Münchner Sicherheitskonferenz gereist war.

Dass Gabriel sich intensiv um die Freilassung Yücels bemühte, ist seit Wochen bekannt. Der Sozialdemokrat hat sich mehrmals mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu getroffen und ihn auch in sein Haus in Goslar eingeladen. Außerdem traf er auch zweimal direkt mit Erdogan zusammen, wie Gabriel am Freitag bestätigte. Mutmaßungen, dass es für die Freilassung eine Art Gegengeschäft hinter den Kulissen gibt, bestritt Gabriel entschieden. „Ich kann Ihnen versichern, es gibt keine Verabredungen, Gegenleistungen, oder, wie manche das nennen, Deals in diesem Zusammenhang.“ Diese Erwartung sei auch von der türkischen Seite nicht formuliert worden.

Deutsches Vorgehen gegen PKK-Anhänger habe Einlenken befördert

Spekulationen über einen solchen Deal hatte Gabriel nicht zuletzt selbst geschürt. Noch im Januar sprach er mit Cavusoglu über ein Projekt zur Modernisierung deutscher Panzer in der Türkei. Nachdem die türkische Regierung aber eine Großoffensive im Norden Syriens gestartet und damit zu einer weiteren Eskalation in dem Krieg beigetragen hat, stoppte die geschäftsführende Bundesregierung alle Rüstungsgeschäfte mit Ankara vorerst. Yücel selbst hat lehnte es ab, für einen solchen Deal zur Verfügung zu stehen

Allerdings ist die Türkei zunehmend isoliert, auch wegen der Eskalation im Syrienkrieg. Nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen muss ihr daran gelegen sein, die Beziehungen zu Deutschland zu verbessern. Aus deutschen Diplomatenkreisen hieß es am Freitag, dass zum Einlenken der türkischen Seite auch beigetragen haben könnte, dass die deutschen Sicherheitsbehörden schärfer gegen PKK-Anhänger vorgingen.

Die türkische Seite beteuerte stets, dass die Justiz unabhängig sei und man nicht in das Verfahren eingreifen könne. Daran darf spätestens gezweifelt werden, seit die türkische Regierung nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 mit aller Härte gegen mutmaßliche und angebliche Verschwörer vorgeht. Präsident Recep Tayyep Erdogan macht seinen langjährigen Vertrauten, den islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putsch verantwortlich. Zehntausende Menschen wurden seitdem aus dem Staatsdienst entlassen, tausende wurden inhaftiert, darunter sehr viele kritische Journalisten. Erst am Freitag wurden sechs prominente türkische Journalisten in Istanbul wegen angeblicher Unterstützung des Putsches zu lebenslanger Haft verurteilt.