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Cannabis auf Rezept Cannabis auf Rezept in Deutschland: Die wichtigsten Fakten zur Neuregelung

Von Timot Szent-Ivanyi 03.03.2017, 14:42
In Januar hatte der Bundestag beschlossen, dass Schwerkranken Cannabis verschrieben werden kann. (Symbolbild)
In Januar hatte der Bundestag beschlossen, dass Schwerkranken Cannabis verschrieben werden kann. (Symbolbild) dpa

Berlin - Es war nicht das erste Mal, dass ein höchstes deutsches Gericht dabei geholfen hat, die Regierenden zu einer zeitgemäßen Politik zu zwingen. Im Frühjahr 2016 erlaubte das Bundesverwaltungsgericht einem Schwerkranken, selbst Cannabis anzubauen – mangels geeigneter und bezahlbarer Alternativen für den an Multipler Sklerose leidenden Mann. Dann ging in der Bundespolitik alles ganz schnell. Denn die Vorstellung, dass künftig Tausende Patienten auf dem heimischen Balkon Hanfpflanzen ziehen dürfen, schreckte insbesondere die Hartliner in Sachen Cannabis. Besser kontrolliert als unkontrolliert, hieß fortan die Devise, wenn auch die komplette Freigabe von Cannabis in der großen Koalition nie auf der Tagesordnung stand. 

In diesem Januar beschloss schließlich der Bundestag, dass Schwerkranken  Cannabis verschrieben werden kann – auf Kosten der Krankenversicherung. Das Gesetz tritt nach der Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in den kommenden Tagen in Kraft. Die wichtigsten Fakten zur Neuregelung.

Wie ist die Rechtslage bisher?

Bereits seit einigen Jahren können in Deutschland industriell hergestellte Medikamente, die Cannabis enthalten, zu Lasten der Krankenkasse verschrieben werden, zum Beispiel das Mundspray Sativex für MS-Kranke.  Sie haben jedoch insbesondere bei Schmerzpatienten nicht die lindernde Wirkung, die Cannabis-Blüten oder Cannabis-Extrakt haben. Das wurde auch von den Behörden anerkannt: Durch eine Sondergenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm)  können Betroffene Blüten oder Extrakt legal in der Apotheke bekommen, allerdings auf eigene Kosten, was mehrere Hundert Euro im Monat bedeutet. Zuletzt hatten 1020 Patienten eine Sondergenehmigung, zwei durften Hanf anbauen.

Was gilt künftig?

Cannabis-Blüten beziehungsweise Cannabis-Extrakt, in der Fachsprache Zubereitungen, werden künftig grundsätzlich wie alle anderen verschreibungspflichtigen Medikamente behandelt. Der Arzt verschreibt, die Kasse zahlt. Allerdings gibt es einige Besonderheiten.

Wer darf Cannabis verschreiben?

Jeder zugelassene Arzt. Bei der Erstverordnung muss allerdings die Krankenkasse einmal zustimmen. Ein Einspruch ist aber nur in sehr gut begründeten Einzelfällen möglich. Für die Antwort hat die Krankenkasse maximal fünf Wochen Zeit. Im Fall von Palliativpatienten beträgt die Frist nur drei Tage.

Wem darf Cannabis verschrieben werden?

Der Patient muss unter einer  „schwerwiegenden“ Erkrankung leiden, für deren Behandlung keine Alternativen zur Verfügung stehen. Der Arzt muss allerdings nicht erst alle Therapien ausprobieren, bis er Cannabis einsetzen darf. Er hat hier einen gewissen Spielraum im Rahmen seiner Therapiefreiheit.  Der Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) war in diesem Punkt  wesentlich strikter, weil danach eigentlich nur „austherapierte“  Patienten in Frage kamen. Im Bundestag wurde der Entwurf aber entschärft.

Was darf verschrieben werden?

Der Arzt darf innerhalb von 30 Tagen bis zu 100 Gramm Cannabis in Form getrockneter Blüten verschreiben.  Die Regierung geht davon aus, dass die Patienten im Schnitt einen Bedarf von einem Gramm Blüten pro Tag haben.

Wie können  die Patienten das verschrieben Cannabis einnehmen?

Das Gesetz schreibt nichts vor.  Insofern obliegt es dem Arzt, zusammen mit dem Patienten die geeignete Variante auszuwählen. Blüten können entweder geraucht, in einem Tee gekocht oder in speziellen Inhalatoren verdampft werden. Diesen Verdampfern  wird   die höchste Wirksamkeit zugeschrieben.  Extrakte können als Tropfen eingenommen werden.

Wie viele Patienten könnten von der neuen Rechtslage profitieren?

Darüber gibt es keine offiziellen Schätzungen, weil Neuland betreten wird. Es wird sicherlich nicht bei den 1000 Patienten bleiben, die bisher eine Sondergenehmigung haben.   Möglicherweise hilft ein Blick nach Israel, wo ähnliche Gesetze gelten: Dort erhalten 25.000 Patienten Cannabis. Hochgerechnet auf Deutschland wären das hierzulande 250.000 Patienten. Bfarm-Chef Karl Broich hält das allerdings für zu hoch gegriffen. Er sagte am Freitag, er gehe nicht von „zigtausend“ Patienten aus.

Welche Kosten kommen auf die Krankenversicherung zu?

Dazu müsste man die Zahl der Patienten kennen. Nur als grobe Schätzung: Um die bisher 1000 Patienten zu versorgen, sind laut Bfarm im Jahr 365 Kilogramm nötig.  Ein Gramm Cannabisblüten kostet derzeit in einer deutschen Apotheke zwischen 15 und 20 Euro. Das wären also Kosten von maximal 7,3 Millionen Euro.      Gleichzeitig werden aber auch andere Schmerzmedikamente wie Morphine oder Opiate wegfallen können, was Kosten spart.

Woher kommt das in der Apotheke erhältliche Cannabis?

Bisher werden Cannabis-Blüten importiert, unter anderem aus den Niederlanden vom  Unternehmen Bedrocan. Es hat von der dortigen Behörde für medizinisches Cannabis eine exklusive Lizenz zur Produktion. Um nicht vom Ausland abhängig zu sein und die Kosten zu senken, wird in Deutschland aber eine eigene Produktion aufgebaut. Dazu wird beim Bfarm eine neue Cannabisagentur gegründet. Sie vergibt an Unternehmen im Inland den Auftrag zum Anbau von Cannabis, kauft die gesamte Ernte auf und verkauft sie dann an Großhändler, Apotheken oder Pharmaproduzenten.  Die Agentur legt auch den Preis fest, der unter dem heutigen Niveau liegen dürfte. Die Ausschreibungen sollen in den kommenden Wochen beginnen. Das Bfarm rechnet damit, dass 2019 die erste deutsche Ernte zur Verfügung stehen wird.