1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Anschlag vom Breitscheidplatz: Breitscheidplatz in Berlin: Psychologin Isabella Heuser kritisiert Angela Merkel

Anschlag vom Breitscheidplatz Breitscheidplatz in Berlin: Psychologin Isabella Heuser kritisiert Angela Merkel

19.12.2017, 08:49
Der Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche am Breitscheidplatz
Der Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche am Breitscheidplatz Getty Images Europe

Berlin - Das Gedenken nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz kommt aus Sicht einer Psychologin für die Hinterbliebenen zu spät. Warum sie auch den neuen Gedenkort für problematisch hält, sagt die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, Isabella Heuser, im Interview.

Wie kann eine Gedenkfeier am Tatort Angehörigen bei der Verarbeitung helfen?

Heuser: Wenig. Das Gedenken, das Zeremonielle kommt ein Jahr nach dem Anschlag zu spät. Eine prominent mit dem Bundespräsidenten oder der Bundeskanzlerin besetzte Gedenkfeier hätte spätestens einige Monate danach stattfinden müssen, das hätte mehr Gewicht gehabt. Nach einem schrecklichen Ereignis möchte man eine relativ schnelle Reaktion, zur Unterstützung, zum Trost. Dass Frau Merkel erst jetzt wie aus dem Nichts kommt, ist nicht zu verstehen.

Welche Bedeutung kann der neue Gedenkort haben?

Dass er den Angehörigen Trost gibt, glaube ich nicht. Das ist eigentlich etwas für die Allgemeinheit und kann auch sinnvoll sein - aber in diesem Fall halte ich es für eine schwierige Sache. Denn es ist in den vergangenen Monaten relativ klar geworden, dass es sich bei dem Attentat am Breitscheidplatz um ein kolossales Staatsverschulden handelt, dass man das wirklich hätte verhindern können. Will man an dieses Versagen tatsächlich noch mit einem Denkmal erinnern?

Erschweren die bekannt gewordenen Ermittlungspannen die Verarbeitung für Angehörige?

Auf jeden Fall. Das Gefühl, dass es nicht hätte sein müssen, leistet einer Verbitterung Vorschub. Solche Anschläge sind immer schicksalhaft - die Leute, die es getroffen hat, waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber man hätte das Schicksal schon etwas besser kanalisieren können, wenn man den Attentäter Monate vorher aus dem Verkehr gezogen hätte. Bei den Bürgern kann so generell eine Verunsicherung entstehen, bei der Vorstellung, dass es möglicherweise weitere solche Fälle gibt. Da kommt Staatsverdrossenheit auf.

Wie hätte es für die Angehörigen besser laufen können?

Was man sofort hätte machen müssen, ist, dass der Bundespräsident oder die Bundeskanzlerin an den Tatort geht, sich das anguckt und erläutern lässt. Und dann natürlich: schonungslose Aufklärung. Und Opfer besuchen - wenn diese besucht werden wollen. Fragen muss man zumindest. Auch die finanzielle Unterstützung ist wichtig, wenn jemand seine körperliche Gesundheit verloren hat oder der Ernährer der Familie zu Tode gekommen ist. Das kann zur psychischen Verarbeitung beitragen.(dpa)