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Berliner Gedenkstätte Berliner Gedenkstätte: Die Lücke in der Mauer

Von PETER GÄRTNER 02.03.2009, 20:44
Touristen fotografieren und besichtigen Reste der Berliner Mauer am Spreeufer in der Nähe der Oberbaumbrücke. (FOTO: DPA)
Touristen fotografieren und besichtigen Reste der Berliner Mauer am Spreeufer in der Nähe der Oberbaumbrücke. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

BERLIN/MZ. - In jenen Tagen spielten sich in dem Berliner Straßenzug zwischen Mitte und Wedding viele dramatische Szenen ab: Nachdem die Hauseingänge zugemauert waren, seilten sich Menschen von den Fenstern ihrer Ost-Berliner Wohnungen ab oder sprangen direkt in die von der West-Berliner Feuerwehr aufgehaltenen Sprungtücher.

Häuser mussten Mauer weichen

Wer heute die Gedenkstätte besucht, wird von den Dramen und der Brutalität der Trennung an diesem Ort kaum etwas spüren. Denn die Häuser auf der Ostseite der Straße wurden schon in den 60er-Jahren abgerissen, um jene Mauer zu bauen, die hier noch heute steht. Um Schrecken und Leiden dieses Beton-Monstrums für Besuchergruppen erfahrbarer zu machen, soll es bald das "Fenster der Erinnerung" geben, in dem Fotos und Biografien von über 130 Berliner Mauertoten auf Glas gelegt werden.

Man soll dann etwa durch Wernhard Mispelhorns junges Gesicht auf die Sperranlagen blicken. Seine Flucht nach West-Berlin beendeten zwei DDR-Grenzsoldaten auf brutale Weise: Mispelhorn starb am 17. August 1964 durch zwei gezielte Schüsse in den Hinterkopf. Der besorgten Mutter teilte die Stasi nur lapidar mit: "Ihr Sohn starb an den Folgen einer Kopfverletzung, die er sich bei einem versuchten Grenzdurchbruch zuzog." Die Mutter musste sich zum Stillschweigen verpflichten.

Doch das Projekt, das am 9. November eingeweiht werden soll, ist ins Stocken geraten. Denn dieses angefangene "Fenster" befindet sich an einer etwa 20 Meter großen Lücke in dem 212 Meter langen Reststück der Original-Grenzbefestigung. Die evangelische Sophiengemeinde ließ hier vor zwölf Jahren 32 Mauersegmente aus dem Grenzwall entfernen, weil die Mauer einst quer über ihren Friedhof gebaut wurde. Damit sollte die Totenruhe auf dem Grabfeld, auf dem sich auch ein Massengrab aus den letzten Kriegstagen befindet, wiederhergestellt werden. Das Ausbau-Konzept für die zentrale Gedenkstätte berücksichtigte dies; die Lücke sollte mit rostenden Stahlstreben geschlossen werden, die von der Seite die Mauer geschlossen aussehen lassen, aber passierbar sind.

Doch gegen diese als "endgültig" bezeichnete Position der Gemeinde regt sich im Gedenkjahr 2009 Widerstand - in der Politik, aber auch im Beirat der Gedenkstätte. Ob Kultur-Staatsminister Bernd Neumann (CDU), Teile von Berliner SPD, CDU und Grünen und DDR-Bürgerrechtler - sie alle wünschen sich eine Rekonstruktion der Mauerlücke mit den Original-Betonelementen. Beiratsmitglied Joachim Gauck, einst Pfarrer und Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, spricht von einem partikularen Interesse der Gemeinde, das letztlich weniger Gewicht haben müsse als das Interesse der Gesellschaft "anhand eines erhaltenen Originalmauerstücks das Leiden der Menschen zu erzählen, die aus der DDR flüchten wollten".

Gauck sucht nach Kompromiss

Eine Entscheidung soll am Dienstag im Stiftungsrat fallen, dem höchsten Entscheidungsgremium der Stiftung Berliner Mauer. Im Vorfeld sucht Gauck nach einem Kompromiss. Im Gespräch sind deutlich erhöhte Kompensationszahlungen für die Nutzung der Gemeindegrundstücke, die für den Ausbau der Gedenkstätte unerlässlich sind. Dahinter steckt ein Grundsatzstreit, der seit Jahren tobt: Vermittelt ein möglichst plastischer Todesstreifen, stets frisch geharkt, mit kläffenden Wachhunden, knatterndem Grenztruppen-Trabi und grell erleuchteten Grenzanlagen ein abschreckenderes Bild des Mauerhorrors als eben die bislang bevorzugte museale sachliche Darstellung, die manchen als zu harmlos erscheint? Und wie authentisch muss gerade in Hinblick auf die Millionen Touristen eine Mauer-Erinnerungsstätte sein?

Die Antwort sollte die 1990 vom damaligen Runden Tisch der DDR beschlossene, aber erst 1998 fertig gestellte Gedenkstätte an der Bernauer Straße geben. Das hat bislang aber nur begrenzt funktioniert, weshalb sie nun um Info-Pavillon, "Fenster" und Freiluftausstellungen erweitert wird. Dieses Areal, von Spöttern als "DDR-Grenzregime für Einsteiger" bezeichnet, soll künftig bereits am Ausgang Gartenstraße des S-Bahnhofs Nordbahnhof beginnen. In der Station selbst wird mit Tafeln an die düsteren Geisterbahnhöfe im Osten erinnert, in denen in der Zeit der Teilung keine S-Bahn-Züge hielten.

Der Ausbau der bestehenden Gedenkstätte war die einzige Möglichkeit, das System der DDR-Sperranlagen stadträumlich erfahrbar zu machen. Denn es gehört zur Geschichte des Gedenkens in Berlin, dass nach dem ersten Frohlocken über das Verschwinden der Mauer aus dem Stadtbild viele irritiert feststellten, dass eines der längsten Bauwerke der Welt tatsächlich spurlos abgeräumt wurde.