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Unterrepräsentiert Berlin: Ostdeutsche in Eliten unterrepräsentiert - Forscher wollen Ursachen und Folgen auf den Grund gehen

Von Markus Decker 09.11.2018, 09:23
Bundeskanzlerin Angela Merkel stammt aus Ostdeutschland. Der Anteil der Ostdeutschen in Führungspositionen ist allerdings gering.
Bundeskanzlerin Angela Merkel stammt aus Ostdeutschland. Der Anteil der Ostdeutschen in Führungspositionen ist allerdings gering. dpa

Berlin - Wissenschaftler mehrerer Universitäten untersuchen in den kommenden zwei Jahren mit Unterstützung der Bundesregierung die Unterrepräsentanz Ostdeutscher in den gesamt- wie den ostdeutschen Eliten. Das auf 26 Monate angelegte Projekt wird vom Familienministerium gefördert. Lars Vogel, Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Eine Finanzierung ist vom Bundesfamilienministerium in Aussicht gestellt. Eine mündliche Zusage liegt bereits vor.“

Dass Ostdeutsche in den Eliten unterrepräsentiert sind, ist seit längerem grundsätzlich bekannt. So besetzen sie Vogel zufolge in der Wirtschaft zuletzt 1,6 Prozent der Führungspositionen und auch in Ostdeutschland lediglich 33 Prozent. In Verwaltung und Justiz beträgt der Ost-Anteil etwa fünf Prozent (Ostdeutschland 13 Prozent). Ähnlich sieht es in der Wissenschaft aus: So kommen beispielsweise bloß 3,8 Prozent aller Soziologie-Professoren aus dem Osten. Insgesamt schätzt Vogel den Anteil der Ostdeutschen in Führungspositionen auf 6 bis 8 Prozent – bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von zirka 17 Prozent. Allein in der Politik entspricht die Repräsentanz ungefähr der Bevölkerungsverteilung. So sind 14,6 Prozent der Bundestagsabgeordneten Ostdeutsche.

Zahlen auffrischen und Mechanismen untersuchen

Allerdings gelten die Zahlen als veraltet. Die Wissenschaftler – neben Vogel sind dies Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau/Görlitz und Naika Foroutan von der Humboldt-Universität Berlin – wollen darum zunächst einmal die Zahlen möglichst genau erheben. Weiter wollen sie die Mechanismen untersuchen, die dazu führen, dass der Anteil der Ostdeutschen an den Eliten auch 29 Jahre nach dem Mauerfall unterdurchschnittlich geblieben ist.

Schließlich wollen sie der Frage nachgehen, welche politischen Konsequenzen die Unterrepräsentation womöglich hat – und ob es auf dem gesamten Feld Parallelen zwischen Ostdeutschen und Migranten gibt, wie insbesondere Foroutan vermutet und schon mehrfach öffentlich geäußert hat.

Vermutung: Unterrepräsentanz führt zu Abkehr vom politischen System

„Die Studie ist nötig, weil wir nicht genau wissen, wie groß der Anteil der Ostdeutschen an den Eliten tatsächlich ist“, sagte Vogel dem RND. „Wir wissen auch nicht, warum diese Unterrepräsentation stattfindet. Vermutlich spielt Diskriminierung eine größere Rolle als Selbstmarginalisierung. Das zu wissen, ist wiederum wichtig, um zu wissen, wo man ansetzen muss, um die Defizite zu beheben. Schon jetzt kann vermutet werden, dass die Unterrepräsentation Ostdeutscher in den Eliten dazu beiträgt, dass sich die Ostdeutschen vom politischen System distanzieren.“ Freilich legt der Wissenschaftler Wert auf die Feststellung, dass Unterrepräsentation kein allein ostdeutsches Problem sei. „Man sollte deshalb generell überlegen, ob es nicht möglich wäre, die Wege in die Eliten zu diversifizieren“, erklärte er.

Das Thema ist seit längerem relevant, wurde aber medial wie politisch nie wirklich breit diskutiert. Dies änderte sich unter anderem vor dem Hintergrund des Aufkommens von Pegida und des Erstarkens der AfD gerade in Ostdeutschland. Längst wird in Teilen des politischen Spektrums auch eine Ost-Quote erwogen. Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, hatte im vorigen Jahr gesagt, die Dominanz der Westdeutschen werde in Ostdeutschland als „kultureller Kolonialismus“ empfunden – und damit eine kontroverse Debatte ausgelöst. Die Bundeszentrale unterstützt das Forschungsprojekt ebenfalls, und zwar durch spätere Tagungen. (rnd)