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Bedingungsloses Grundeinkommen ab 2017 Bedingungsloses Grundeinkommen ab 2017: Finnlands Experiment mit dem Lohn

Von André Anwar 09.12.2015, 07:17
Juha Sipilä, Finnlands Ministerpräsident, versprach nach seinem Wahlsieg im April , das Land wie ein Unternehmen zu führen.
Juha Sipilä, Finnlands Ministerpräsident, versprach nach seinem Wahlsieg im April , das Land wie ein Unternehmen zu führen. dpa Lizenz

Stockholm - Finnlands rechtsliberaler Ministerpräsident und Ex-Großunternehmer Juha Sipilä hat im April die Wahl gewonnen. Sein Versprechen: Finnland wie ein Unternehmen zu führen und es so aus seiner tiefen Wirtschaftskrise zu befreien. Auf den ersten Blick passt da ein Bestreben Helsinkis nicht ganz rein. Ausgerechnet Sipilä hat sich – wenn auch vorsichtig - der andernorts vor allem von Linksparteien propagierten Idee des bedingungslosen Grundeinkommens angenommen.

Umfangreiche Tests

Zwar sind zahlreiche Meldungen in der internationalen Presse über eine Einführung in Finnland irreführend. Richtig ist aber, dass Sipiläs bürgerlich-nationalistische Dreiparteienregierung die Volksrentenanstalt (FPA) damit beauftragt hat, einen umfangreichen Test dazu zu planen. Das bestätigt FPA-Forschungschef Olli Kangas im Gespräch mit der MZ.

Anfang 2017 soll das Experiment demnach starten und zwei Jahre laufen. Wie genau und mit welchem Grundgehalt pro Person ist bislang nicht entschieden. „Die Meldungen im Ausland sind falsch“, betont Kangas immer wieder. „Wir führen in Finnland kein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Meine Behörde ist lediglich damit beauftragt einen eingeschränkten Test zu konzipieren, der die Auswirkungen einer solchen Maßnahme misst“, sagt er.

Das FPA- Forschungsteam soll mehrere Ansätze und Messmethoden prüfen. Die FPA-Forscher wollen am liebsten ein kombiniertes Experiment. Zum einen müsste ein Ort mit mindestens 10.000 Einwohnern das „Mitbürgereinkommen“ erhalten, wie die Finnen es nennen. Zum anderen würde aus der rund 5,5 Millionen Einwohner zählenden Gesamtbevölkerung Finnlands 10.000 Personen im arbeitsfähigen Alter zufällig ausgewählt werden und mit einer Kontrollgruppe verglichen werden, die kein Grundeinkommen erhält. „So können wir die Vorteile unterschiedlicher Messmethoden bei ihrer Aussagekraft für die Effekte miteinander kombinieren. Aber die Politiker entscheiden Ende 2016, was machbar ist“, sagt Kangas.

Finnlands engmaschiger Wohlfahrtsstaat gilt als kompliziert

Vor allem geht es darum zu testen, in wieweit ein Grundeinkommen mehr Menschen in den Arbeitsmarkt bringt. Denn bislang werden Sozial- und Versicherungsleistungen gekürzt, wenn Empfänger zusätzlich arbeiten. Das hält sie vom Eintritt in den Arbeitsmarkt ab, so lautet die Argumentation. Vor allem Langzeitarbeitslose könnten zurück ins Berufsleben geholfen werden. Des Weiteren gilt Finnlands engmaschiger Wohlfahrtsstaat als sehr kompliziert. Verwaltung und Kontrolle sind sehr kostspielig und aufgebläht. Wenn große Teile davon über ein garantiertes Grundeinkommen abgeschafft werden könnten, würde das gewaltige Ressourcen freisetzen, so der Gedanke. Auf der anderen Seite besteht das Argument, dass ein Grundlohn viele Menschen dazu bringen könnte, gar nicht erst zu arbeiten. Wie Individuen letztlich darauf reagieren würden und der Arbeitsmarkt sich verändern würde, soll das Experiment zumindest ein wenig klären.

Grundlohn neben der Arbeit

Neben dem Prinzip des „vollen Grundlohns“, der laut Kangas weitaus höher als bei 800 Euro im Monat liegen müsste, um alle anderen Hilfszahlungen zu ersetzen, wird auch ein partieller Grundlohn der mit anderen Leistungen kombiniert wird, untersucht. Das System könnte je nach Ausformung an die Erwerbtätigkeit gekoppelt sein. Das würde bedeuten, dass nur einen Grundlohn erhält, wer auch arbeitet.

Schwierig wird das Experiment auch in seiner verfassungsrechtlichen Legitimierung. Allerdings ist mit 70 Umfrageprozent die große Mehrheit grundsätzlich für die Einführung. Das Land steckt derzeit in einer seiner tiefsten Wirtschaftskrisen. Es weist mit zehn Prozent die höchste Arbeitslosenrate seit 15 Jahren auf. Doch das wird nicht als Gegenargument gesehen. Im Gegenteil. (mz)