Sicherheit und Verteidigung Aufrüstung im Eiltempo: Brüssel stellt Fahrplan bis 2030 vor
Ein noch größerer Krieg in Europa? Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen hält ein solches Szenario nicht mehr für ausgeschlossen. Jetzt gibt es einen Fahrplan für Aufrüstung.

Brüssel - Unter dem Eindruck der Bedrohungen durch Russland hat die EU-Kommission einen Fahrplan für vier große europäische Aufrüstungsprojekte präsentiert. Ziel des Vorstoßes ist es, insbesondere die Luftverteidigung und den Schutz der Ostflanke bis 2030 deutlich zu verbessern. Dazu ist auch ein neues Drohnenabwehrsystem geplant, das spätestens Ende des kommenden Jahres in Betrieb genommen werden soll. Voll einsatzfähig soll es dann spätestens Ende 2027 sein.
„Die jüngsten Bedrohungen haben gezeigt, dass Europa in Gefahr ist“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Vorstellung des Fahrplans. Es müsse nun mit Einigkeit, Solidarität und Entschlossenheit reagiert werden. Der Verteidigungsfahrplan lege dafür einen klaren Plan mit gemeinsamen Zielen und konkreten Etappenzielen auf dem Weg bis 2030 vor.
Geheimdienste gehen davon aus, dass Russland spätestens dann militärisch in der Lage sein dürfte, einen weiteren Krieg zu beginnen. „Russland hat derzeit keine Kapazität, einen Angriff auf die EU zu starten. Es könnte sich aber in den kommenden Jahren darauf vorbereiten“, erklärte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. Die Gefahr werde nicht verschwinden, selbst wenn der Krieg in der Ukraine ende.
Deutschland bietet Führungsrolle an
Zu den vier vorgeschlagenen Aufrüstungsprojekten gehören neben der Drohnenabwehr-Initiative auch die sogenannte „Eastern Flank Watch“ zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeiten der östlichen EU-Mitgliedstaaten und das „European Air Shield“ zur Stärkung der EU-Luftverteidigung. Zudem ist ein „European Defence Space Shield“ geplant, um den Schutz europäischer Satelliten sicherzustellen.
Die Finanzierung soll zunächst vor allem über die Mitgliedstaaten und über bereits bestehende EU-Programme erfolgen. Mittelfristig könnten dann zusätzliche Gelder über den nächsten Langfrist-Haushalt der EU fließen, der derzeit für die Jahre 2028 bis 2034 geplant wird. EU-Verteidigungsindustriekommissar Andrius Kubilius erklärte, über die Nato hätten die meisten EU-Staaten bereits zugesagt, ihre Verteidigungsausgaben bis 2035 massiv zu erhöhen. Im Schnitt müssten insgesamt zusätzlich 288 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben werden.
Deutschland will nach Angaben von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Führung beim geplanten „European Air Shield“ übernehmen. Bei diesem Projekt geht es darum, EU-Programme zu nutzen, um ein über Ländergrenzen hinweg vernetztes, mehrstufiges Flugabwehrsystem einschließlich der erforderlichen Sensorik aufzubauen. Es soll gegen das gesamte Spektrum von Bedrohungen aus der Luft schützen und nahtlos mit dem Führungs- und Kontrollsystem der Nato zusammenarbeiten können.
Drohnen sollen auch attackieren können
Über die Drohnen-Initiative soll dem Fahrplan zufolge ein mehrschichtiges Hightech-System mit Fähigkeiten zur Erkennung, Verfolgung und Neutralisierung feindlicher Drohnen aufgebaut werden, das auch in der Lage ist, mittels eigener Drohnentechnik präzise Schläge gegen Bodenziele auszuführen. Wichtig ist den Planern auch dabei, dass es in enger Zusammenarbeit mit der Nato und geografisch offen entwickelt wird.
Zur Begründung für diesen 360-Grad-Ansatz in alle Himmelsrichtungen heißt es, die östlichen EU-Mitgliedstaaten an der Grenze zu Russland und Belarus seien zwar der größten unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt. Die jüngsten Zwischenfälle hätten allerdings gezeigt, dass jedes Land betroffen sein könne. So war wegen der Sichtung unbemannter Flugkörper in den vergangenen Wochen unter anderem in Dänemark und Deutschland wiederholt Alarm an zivilen und militärischen Flughäfen ausgelöst worden. Zeitweise musste deswegen sogar der Flugverkehr eingestellt werden.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Drohnen nicht zwingend direkt aus Russland kommen müssen, soll künftig auch nicht mehr von einem geplanten „Drohnenwall“ gesprochen werden, sondern neutral von der „European Drone Defence Initiative“. Nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Pistorius will Deutschland in den nächsten Jahren zehn Milliarden Euro in Drohnen investieren werde.
Offen ist, ob die Bundesrepublik die Vorstellungen der EU-Kommission für Beschaffungsquoten unterstützt. So schlägt die Behörde vor, dass bis Ende 2027 mindestens 40 Prozent der Verteidigungsgüterbeschaffung gemeinschaftlich organisiert werden sollten. Zudem soll es eine äußerst enge Rüstungszusammenarbeit mit der Ukraine geben.
Entscheidung bis Jahresende?
Wie es mit dem Fahrplan weitergeht, liegt nun in der Hand der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten. Sie werden in der kommenden Woche bei einem Gipfeltreffen in Brüssel erstmals über die Vorschläge der Kommission beraten. Im Fahrplan ist vorgesehen, dass sie bis spätestens Ende des Jahres ihre Zustimmung geben.