Antisemitismus-Affäre Antisemitismus-Affäre: Günzel: Kein unbeschriebenes Blatt

Berlin/MZ. - Ein Wehrexperte des Bundestages machte am Mittwóch folgende Wette auf: Wenn sich keine neuen Fakten ergäben, vermutet der Parlamentarier, werde die Affäre um den hessischen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann alsbald im Sande verlaufen - so wie vieles in der Hauptstadt im Sande verlaufe. "Wenn da aber noch zwei oder drei aus der Schublade gezogen werden, wird die Sache schwierig." Gemeint war: zwei oder drei ranghohe Soldaten vom ideologischen Kaliber des gerade geschassten Brigadegenerals Reinhard Günzel.
Einen Tag nach dem Rausschmiss des 59-jährigen Elite-Soldaten durch Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) wird immer deutlicher: Der lobende Brief Günzels an Hohmann wegen dessen antisemitischer Rede am 3. Oktober war so wenig zufällig wie die Rede selbst. Im Verteidigungsministerium macht man sich Sorgen.
Detlef Bald, bis 1996 Wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr, erinnerte am Mittwoch daran, dass Günzel 1997 bereits einmal versetzt worden sei - von Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU). Günzel agierte seit 1995 als Kommandeur der Jägerbrigade 37 im sächsischen Frankenberg und war somit auch Vorgesetzter eines Gebirgsjägerbataillons in Schneeberg. Dort waren von Soldaten produzierte rechtsextremistische Gewaltvideos aufgetaucht - ein Riesen-Skandal. Bald sagte dazu: "Günzel ist infolge dieser Vorgänge versetzt worden. Er ist kein verwirrter General; und er ist auch nicht dumm. Was er in dem Brief an Hohmann geschrieben hat, entspricht seiner Auffassung."
Nun konnte Günzel keinerlei Mittäterschaft nachgewiesen werden. Rühe jedoch, so ein Zeuge, "hat Tabula rasa gemacht". Generäle kritisierten die Versetzung als ungerecht. Heute erscheint der Vorgang in einem anderen Licht. In der rot-grünen Koalition heißt es: "Führung heißt ja auch, die Vorgänge in der Kaserne immer wieder zu überprüfen." Das geschah offenbar nicht. Ob der General doch etwas wusste, ist unklar.
Dabei mündete Günzels Versetzung in seinen Aufstieg. 1998 wurde er Lehrgangsteilnehmer am Nato Defense College in Rom. Im Jahr 2000 berief ihn Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) zum Chef des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Der Verteidigungsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, befindet: "Im Nachhinein muss man sagen: Das war der falsche Mann am falschen Platz."
In Berlin sind überdies Sätze zu hören wie: "Wenn Scharping damals nicht selbst so angeschlagen gewesen wäre, hätte er Günzel schon im Herbst 2001 entlassen müssen." Denn nach den Terroranschlägen vom 11. September fabulierte der: Eine Festnahme des Terrordrahtziehers Osama bin Laden werde ein "Blutbad" nach sich ziehen.
Wenn es darum gehe, das Leben Tausender zu retten, werde "wohl eher der Tod von speziell zur Terrorismusbekämpfung ausgebildeten Soldaten in Kauf genommen".
Auf die zweifelhafte Karriere des scheidenden Generals angesprochen, meinte Struck am Mittwoch: "Man kann mir nicht anlasten, was andere politisch zu vertreten haben." Zum Verdruss des Ministers steht das Thema Rechtsradikalismus in der Bundeswehr einmal mehr auf der Tagesordnung. Struck betonte: "Die Bundeswehr ist ein demokratisch gefestigter Verband." Er könne freilich "nicht in die Köpfe der Angehörigen der Bundeswehr hineinschauen". Tatsächlich haben die Streitkräfte zahlreiche Versuche unternommen, gewisser Rechtstendenzen Herr zu werden. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Reinhold Robbe (SPD), warnt jedoch: "Wenn wir noch mehr solcher Leute in der Bundeswehr-Führung haben, dann haben wir ein Problem."
Der CSU-Verteidigungsexperte Hans Raidel sprang indes für Günzel in die Bresche. Der sei "kein Rechtsradikaler", sondern ein "Mensch mit Grundsätzen". Der Fehler liege bei Hohmann, der Günzels Brief veröffentlicht habe. SPD-Wehrexperte Rainer Arnold sagt dagegen: "Das Problem ist nicht, dass Günzel einen Fehler gemacht hat. Das Problem ist, dass Günzel so denkt."