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Analyse Analyse: Was die Pegida-Köpfe umtreibt und wie sie sich radikalisierten

Von Steven Geyer 23.10.2015, 16:22
Die Pegida-Kundgebung am Montagabend in Dresden.
Die Pegida-Kundgebung am Montagabend in Dresden. REUTERS Lizenz

Berlin - Kurz hatte es ausgesehen, als sei es das gewesen mit Pegida. Die Gründer der Protestbewegung, die im vorigen Winter Montag für Montag mehr als 15.000 Menschen auf die Straßen Dresdens brachten, hatten sich zerstritten. Eine erste Radikalisierung war unübersehbar, die Teilnehmerzahlen gingen zurück.

Doch mit dem Flüchtlingsansturm kam auch Pegida zurück. Die Öffentlichkeit erschreckt über Galgen, an die die Mitläufer sich die Kanzlerin wünschen, und über Redner wie den Autoren Akif Pirincci, der sarkastisch fehlende Konzentrationslager beklagte.

AfD geht auf Distanz

Schon warnt Innenminister de Maizière (CDU), es sei inzwischen klar: „Diejenigen, die das organisieren, sind harte Rechtsextremisten.“ SPD- und Linken-Politiker, aber auch die Polizeigewerkschaft finden, der Verfassungsschutz müsse die Pegida-Köpfe genauer anschauen.

Sogar die AfD geht auf Distanz zu der Bewegung – aus Angst, die bisher gegenseitige Sympathie schade nun ihrem Image. Tatsächlich bezeichnete SPD-Chef Sigmar Gabriel die AfD in der Nacht zum Freitag im RTL-Interview nun als „offen rechtsradikal“: Wer davon spreche, Politiker an die Wand zu stellen, pflege die Sprache der Nazis. Das ging auch gegen Pegida.

Und doch steigt die Teilnehmerzahl wieder, mobilisieren die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ wieder Zehntausende gegen „Asylchaos“, Zuwanderung und Muslime.

„Gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden“

„Deutschland erwacht, wir werden jeden Tag mehr!“, hatte Lutz Bachmann, der Gründer der verschworenen Gemeinschaft, aus der vor einem Jahr Pegida wurde, auf Facebook geschrieben, als aus einer kleinen Demo mit Freunden und Bekannten im vorigen Winter überraschend ein Massenaufmarsch der Tausenden wurde.

Dabei hatte alles als kleiner virtueller Stammtisch im Internet angefangen, mit einer Clique einfacher Leute zwischen Ende 30 und Ende 40, die aus Dresden und vor allem dem Umland stammten und sich aus den Discos, von Partys, als Fans von Sportvereinen der Region kannten.

Bachmann, umtriebiger Chef einer Ein-Mann-Werbeagentur, der in Coswig bei Dresden aufwuchs und heute im nahen 3000-Einwohner-Ort Kesselsdorf lebt, war Mitte Oktober 2014 in Sachsens Hauptstadt in eine Kundgebung geraten, die ihm stank: Da riefen Kurden zur Solidarität mit der PKK, die im irakisch-türkischen Grenzgebiet gegen den IS kämpft.

Bachmann sah sofort die Straßenschlachten zwischen Kurden und Islamisten in Hamburg und Celle vor sich, die viele Deutsche beunruhigt hatten. Gegen solche „Glaubenskriege auf deutschem Boden“ will er etwas tun – zuerst fällt ihm da Facebook ein. Schon während der Flut von 2013 hatte mit mehreren Facebook-Gruppen ein Hilfszentrum organisiert, Sach- und Geldspenden gesammelt, dafür sogar den Fluthelferorden des Freistaats bekommen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Bachmann und seine zwielichten Freunde

Bachmanns Schulfreunde treffen auf seine zwielichtigen Kontakte

Also gründet er wieder eine Facebook-Gruppe, in die er aber nur Bekannte und deren Bekannt hineinlässt, und die Protest gegen „die Islamisierung unseres Landes“ organisieren soll. „Friedliche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, nennt er sie. Bald treffen dort Schulfreunde aus Coswig, die mit Handwerkerberufen oder als kleine Selbstständige bürgerliche Familienleben führen, auf zwielichtigere Kontakte Bachmanns. Denn der war nach Abi und Kochlehre im Rotlichtmilieu, auf der schiefen Bahn und wegen 16 Einbrüchen und Drogenhandel zweimal vor Gericht und einmal im Knast gelandet. Aus dieser Zeit muss seine robuste Ausdrucksweise stammen – und Freunde wie Siegfried Däbritz.

Der bullige Motorrad- und Waffen-Fan pflegt als Security-Unternehmer Kontakte zur Türsteher- und Hooliganszene, der er selbst nahesteht. Er stammt zwar aus einer bürgerlichen Familie im sächsischen Meißen, wo der Vater für die FDP im Stadtrat saß, was Sohn Siegfried 2009 vergeblich nachzueifern versuchte.

Den etwas älteren Thomas Tallacker kennt er aus der Kommunalpolitik. Beide kommen aus kleinen Verhältnissen in der DDR, traten nach der Wende bürgerlichen Parteien bei, gerieten aber auch beide schon mit dem Gesetz in Konflikt.

Doch Innenausstatter Tallacker saß auch für die CDU im Stadtrat, engagierte sich gegen Rassismus, gilt vor Ort als angesehener Mittelständler. Doch Freunde beschreiben ihn als politisch wankelmütig, und so lässt er sich von Däbritz zu den Dresdner Lesungen von Thilo Sarrazin und Akif Pirincci mitnehmen – und davon begeistern, wenn es gegen Muslime und Gutmenschen geht.

Mit „Politically Incorrect“ anbandeln

Für Däbritz nichts Neues: Er bezieht seine Informationen schon lange von rechten Websites wie dem islamfeindlichen Blog „PI-News“, dessen Machern er sich unter dem Namen „No Fear“ lange vor Pegida als virtueller Helfer andient.
Auch Tallacker wandelt sich, schimpft im Netz über Muslime und Asylbewerber, bis es der CDU zu viel wird und sie ihn aus dem Stadtrat drängt. In der Partei ist er bis heute.

Das illustriert die pikante Rolle der Sachsen-CDU: Vor allem in der Provinz schlägt sie oft Töne an, die von AfD und Pegida kaum zu unterscheiden sind. Zu den Umtrieben von Neonazis blieb sie auch in Dresden jahrelang sprachlos. Im Freistaat sind Kleinbürger mit Ressentiments, Stammtisch-Sprüchen und einem Hang zum Krawall keine Seltenheit, die eine Volkspartei erschrecken würde.

Die Bachmann-Freunde wollen in ihrer Facebook-Gruppe immer noch einen draufsetzen, gegenseitig verstärken sie ihre einseitige Weltsicht. Däbritz ruft zum Widerstand gegen Political Correctness und die „ständige Beschimpfung als Nazis“, er will dafür die Parole „Wir sind das Volk“ von den 1989er Montagsdemos 1989 in der DDR nutzen – und will bei Pegida keine „rechten Spinner“.

Als die Clique dann am 20. Oktober 2014 in Dresden erstmals demonstriert, kommen tatsächlich 900 Freunde und Freundesfreunde: Handwerker, Gewerbetreibende, Fußballfans, Auto- und Motorradfreaks, Friseurinnen, aber auch Hooligans, AfDler und stadtbekannte Neonazis. Sechs Tage später bestaunt Däbritz in Köln begeistert die Demo der „Hooligans gegen Salafisten“, auf der auch Polizisten angegriffen werden. Online liebäugelt er mit neurechten Gruppen wie den „Identitären“ und der German Defence League.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Kathrin Oertel, Wirtschaftsberaterin, dreifache Mutter - Pegida-Sprecherin

Die Stimme der besorgten Bürger

Doch es gibt auch den anderen Flügel unter den Pegida-Gründern: Leute wie Kathrin Oertel, die wie Bachmann in Coswig zur Schule ging und nun als Wirtschaftsberaterin und dreifache Mutter ein unpolitisches Leben führt. Als Pegida wächst, die Medien aber bald Bachmanns kriminelle Karriere und erste ausländerfeindliche Entgleisungen thematisieren, macht das 12-köpfige Team sie zur Sprecherin.

Oertel vertritt Pegida bei Günther Jauch, tritt mit Bachmann zur ersten und einzigen Pressekonferenz an, ist die Kontaktfrau zur AfD-Bundeschefin Frauke Petry, die das Team zum Treffen mit der sächsischen Landtagsfraktion einlädt. Oertel und einige Gleichgesinnte im „Orga-Team“ wollen Pegida als Stimme der „schweigenden Mehrheit“ in der bürgerlichen Mitte. Derer, die keine „Überfremdung“, aber auch keine Neonazis wollen. So macht das Orga-Team Pegida im Dezember 2014 zum eingetragenen Verein zur „Förderung des politischen Verantwortungsbewusstseins“, mit Bachmann als Chef und Oertel als Schatzmeister.

Als aber Bachmanns Internethetze gegen Asylbewerber ihm Ermittlungen wegen Volksverhetzung einbringt – inzwischen ist er angeklagt –, verstreitet sich die Gruppe. Weil Bachmann nicht geht, verlässt Oertel Pegida mit fünf weiteren Gründern, darunter der Meißener Tallack, und wird Chefin ihres neuen Vereins Direkte Demokratie für Europa, der moderater sein will und schnell bedeutungslos ist.

Vorher entschuldigt sich Oertel bei „allen Migranten und vor allem bei den Muslimen, die hier in unserem Land friedlich leben“ für „die ganze Hetzkampagne“.

Die Radikalisierung der Bachmann-Jünger

Der Rest der Bachmann-Gang radikalisiert sich derweil. Endlich können Bachmann und Däbritz Szenegrößen zu Pegida einladen, die aus ihrer Sicht Klartext reden: Michael Stürzenberger von „PI-News“ etwa, der in Köln gerade zum „nationalen Widerstand“ aufgerufen hatte, oder eben Pirincci und, als eine der ersten, die Hamburgerin Tatjana Festerling.

Die war gerade aus der AfD gedrängt worden, weil sie die Kölner Hool-Demo lobte und sich auch sonst massiv im Ton vergriff – seither tut sie das als Hauptrednerin und Vorstandsmitglied von Pegida.

Sie träumt vom unabhängigen Freistaat Sachsen und einer neuen Mauer, die die westdeutschen Gutmenschen fernhält. Im Juni tritt sie für Pegida bei der Oberbürgermeister-Wahl an – und holt fast zehn Prozent. Ihre Reden sind die verbalen Entsprechungen der Galgenattrappe aus Holzlatten, und auch Bachmann ist über „Lügenpresse“-Sprechchöre längst hinaus. Inzwischen verliest er auf der Bühne die Namen von Pegida-Kritikern und ruft: „Merkt euch die Namen!“

Seine Vergangenheit und Facebook-Tiraden stören im Publikum längst keinen mehr. So wie es ihn nicht mehr stört, dass längst Neonazis aus ganz Deutschland anreisen, um mitzulaufen.

Der Mitbegründer der Pegida, Lutz Bachmann.
Der Mitbegründer der Pegida, Lutz Bachmann.
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Kathrin Oertel auf einer Pressekonferenz in Dresden. Mit weiteren ehemaligen Pegida-Organisatoren gründet sie den neuen Verein „Direkte Demokratie für Europa“.
Kathrin Oertel auf einer Pressekonferenz in Dresden. Mit weiteren ehemaligen Pegida-Organisatoren gründet sie den neuen Verein „Direkte Demokratie für Europa“.
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