265 Tote, 2800 Festnahmen 265 Tote, 2800 Festnahmen: Putschversuch erschüttert die Türkei in ihren Grundfesten

Ankara - Ein Putschversuch hat die Türkei in ihren Grundfesten erschüttert und weltweit Sorgen um die Zukunft des Landes ausgelöst. Eine Gruppe von Militärs versuchte in der Nacht zum Samstag, Staatschef Recep Tayyip Erdogan zu stürzen und die Macht an sich zu reißen. Nach einer dramatischen Nacht mit schweren Gefechten und mehr als 260 Todesopfern erklärte die Regierung am Samstagmittag den Putsch für gescheitert.
Soldaten der türkischen Armee schwärmten am Freitagabend in der Hauptstadt Ankara und in Istanbul aus und brachten strategische Punkte wie eine Bosporus-Brücke unter ihre Kontrolle. In einer kurz vor Mitternacht im Fernsehen verlesenen Erklärung verkündete ein „Friedensrat“ die vollständige Machtübernahme in der Türkei, rief das Kriegsrecht aus und verhängte eine Ausgangssperre.
Schwerste Kämpfe seit Jahrzehnten
Staatschef Erdogan, der sich zu diesem Zeitpunkt im Badeort Marmaris aufhielt, schaltete sich via Smartphone live in eine TV-Nachrichtensendung ein und rief die Bevölkerung auf, auf die Straßen zu gehen und sich den Putschisten entgegenzustellen. Zehntausende folgten dem Aufruf, danach flog Erdogan zum Atatürk-Flughafen in Istanbul, wo er von jubelnden Anhängern empfangen wurde.
Zeitgleich mobilisierte die Regierung alle loyalen Kräfte und schlug zurück. Unter dem Einsatz von Kampfflugzeugen und Panzern lieferten sich Putschisten und regierungstreue Truppen in Ankara und Istanbul schwerste Gefechte, wie sie das Land seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat. In der Nähe des Präsidentenpalastes in Ankara griffen F-16-Kampfjets Panzer der Putschisten an, die dort aufgefahren waren. Kampfflugzeuge und Militärhelikopter kreisten über der Stadt, Medienberichten zufolge wurde auch das Parlament aus der Luft angegriffen.
Feuergefechte an einer der Bosporus-Brücken in Istanbul
An einer der beiden teilweise gesperrten Bosporus-Brücken in Istanbul eröffneten Soldaten in der Nacht das Feuer auf demonstrierende Regierungsanhänger. Ein AFP-Fotograf sah dutzende Verletzte. Auch auf dem Taksim-Platz schossen Soldaten auf Gegner des Putschversuchs, dort gab es ebenfalls Verletzte. Am Morgen waren weiterhin vereinzelte Feuergefechte in Ankara und Istanbul zu hören. Regierungstreue Kampfjets schossen ein von Putschisten gekapertes Kampfflugzeug ab.
Am Samstagmittag erklärte Ministerpräsident Binali Yildirim in Ankara dann, die Regierung habe die Lage „vollständig unter Kontrolle“. Nach seinen Angaben wurden 161 Zivilisten und Sicherheitskräfte getötet. Nach Angaben des Militärs starben außerdem 104 Putschisten. Mehr als 1440 Menschen wurden verletzt, wie Yildirim weiter mitteilte. Mehr als 2800 Armeeangehörige - mutmaßliche Putschisten - seien festgenommen worden.
Putschisten wollten sich nach Griechenland absetzen
Acht Putschisten versuchten, sich in einem Militärhubschrauber nach Griechenland abzusetzen. Die türkische Regierung forderte die sofortige Auslieferung der „Verräter“, wie der TV-Sender Habertürk berichtete. Yildirim bezeichnete den Putschversuch als einen „Schandfleck für die türkische Demokratie“. Die „Feiglinge“ würden ihre gerechte Strafe bekommen. Auch der amtierende Armeechef Ümit Dündar drohte den Gegnern der Regierung in den Streitkräften mit Vergeltung.
Dündar war als kommissarischer Generalstabsschef eingesetzt worden, nachdem die Putschisten Armeechef Hulusi Akar vorübergehend in ihre Gewalt gebracht hatten. Die Hintergründe des Umsturzversuches blieben zunächst weiter im Dunkeln. Erdogan machte die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Umsturzversuch verantwortlich, was dieser vehement zurückwies. Erdogan forderte die Bevölkerung auf, auf der Straße zu bleiben. Es müsse mit einem „Wiederaufflammen“ des Aufstands gerechnet werden, warnte er im Kurzbotschaftendienst Twitter.
International wurde der Putschversuch scharf verurteilt. US-Präsident Barack Obama stellte sich hinter Erdogan und forderte ein Ende des Blutvergießens. Auch die Bundesregierung und die EU sicherten der Regierung in Ankara ihre Unterstützung zu. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) rief den Krisenstab der Bundesregierung zusammen. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow äußerte sich besorgt. Der Konflikt in der Türkei stelle ein Risiko für die „internationale und regionale Stabilität dar“, erklärte er.