MZ-Serie MZ-Serie: Süßigkeit der Könige
SALZWEDEL/MZ. - Mit der großen Kelle schöpft Vladimir Mezler die zähflüssige, gelbe Masse aus der Wanne und verteilt sie auf der sich drehenden Holzwalze. Hinter dem Spieß lodern Flammen, der Teig auf dem Rohling wird gebacken. Ist er gar, folgt die nächste Schicht. Sie liegen übereinander wie die Jahresringe eines Baumes. Innerhalb von zwanzig Minuten entsteht der etwas mehr als 60 Zentimeter lange und rund fünf Kilogramm schwere Salzwedeler Baumkuchen.
Das Produkt hat Abnehmer weit über die Grenzen der Altmark hinaus - nicht nur europäische Königshäuser gehören zu den Stammkunden. Verschickt werden die Kuchen auch nach Australien und Japan, Österreich und Großbritannien, in die USA und die Schweiz.
Seit mehr als 200 Jahren wird der Baumkuchen nach dem ursprünglichen Rezept gebacken, seit Februar ist seine Herkunftsbezeichnung per EU-Verordnung geschützt. Drei Betriebe in der Kleinstadt in der Altmark stellen die Spezialität derzeit her und dürfen die Bezeichnung führen.
Lieferanten der Monarchen
Einer davon ist die Erste Salzwedeler Baumkuchenfabrik, in der Mezler in der Backstube steht. Es ist der einzige Betrieb deutschlandweit, der sich völlig dem Baumkuchen verschrieben hat und keine weiteren Produkte herstellt, betont Inhaberin Bettina Hennig. Auf ihrer Kundenliste steht unter anderem das englische Königshaus - schon aus Tradition. So bestellten die Monarchen des vorigen Jahrhunderts aus Österreich, England, Russland und Schweden in Salzwedel. Daran knüpfte die Baumkuchenfabrik nach der Wende an, nach der Rückgabe des zu DDR-Zeiten enteigneten Betriebes.
Und auch heute funktioniert die Mund-zu-Mund-Propaganda, erzählt Hennig. Als im englischen Königshaus den 200 Gästen Anfang der neunziger Jahre Salzwedeler Baumkuchen als Nachtisch gereicht wurde, kam Schwedens Königin Silvia auf den Geschmack - und bestellte in Salzwedel zur Feier ihres 50. Geburtstages im Dezember 1993. Lieferungen, die kein Einzelfall blieben.
Dabei wird gerne schon mal der sogenannte Ministerkuchen geordert: ein kompletter Baumkuchen, 60 Zentimeter hoch und rund viereinhalb Kilogramm schwer. Zu haben ist er ab 135 Euro, Kosten für Verzierung kommen hinzu. Sonst werden die Kuchen in Teilen angeboten, etwa in Ringen oder in schokoladenüberzogenen Stückchen als Baumkuchenspitzen. Pro Kilo sind dann rund 25 Euro fällig.
Acht Mitarbeiter stellen im hennigschen Betrieb Tag für Tag 40 der Kuchenwalzen her. Grundlage ist ein sorgsam gepflegtes Geheimnis: Das Rezept für den Kuchen. Es geht zurück auf den Konditor Johann Christian D. Andreas Schernikow. Der backte 1807 seinen ersten Baumkuchen und schrieb die Zutatenliste in sein "Conditorei-Buch". Diese Sammlung wird von den Nachfahren Schernikows von Generation zu Generation weitergegeben. Bettina Hennig erhielt das Buch von ihrem Vater Oskar - und verwahrt es nun im Tresor.
So ist zwar bekannt, dass die Baumkuchen-Masse aus Eiern, Butter, Mehl und Zucker besteht. Welche Gewürze aber den besonderen Geschmack verleihen, das wird nicht verraten. Altmeister Oskar Hennig hält bei den Führungen in der Backstube wohl noch ein Tütchen mit der fertigen Mischung hoch - lässt es aber rasch wieder in der Kitteltasche verschwinden.
Glasur und Schokolade
Hinter ihm hebt Mezler den fertigen Baumkuchen auf dem Spieß aus der Halterung am Ofen. Das Produkt muss nun auskühlen, bevor es weiter verarbeitet wird. Weil Backpapier die Kuchenmasse von der Walze trennt, kann das Holzstück herausgezogen werden. Der Kuchen wird nun zumeist aufgeschnitten, mit Zuckerglasur oder Schokolade überzogen. Und dann tickt die Uhr: Weil ohne den Zusatz von Konservierungsstoffen gebacken wird, ist der Kuchen nur zehn Tage haltbar. Verkauft wird er im kleinen Geschäft der Fabrik. Die Kunden kommen aus einem Umkreis von 100 Kilometern, berichtet Bettina Hennig. Und die Firma bietet ihre Ware bei Märkten, Festen und Veranstaltungen an. Vor allem aber wird verschickt - der Versandhandel ist der wichtigste Vertriebsweg. Das Internet spielt eine große Rolle, "da musste ich gleich mit dabei sein", sagt Hennig. So liefert die Firma weltweit.
Vor Mezler dreht sich eine weitere Buchenholzwalze. Der Bäcker trägt mit der Kelle zunächst Ringe aus Teig auf. Sie geben dem Kuchen die besondere Form. Sind sie von den lodernden Flammen gebacken, wird auf der gesamten Länge "aufgekellt". Der nächste Kuchenbaum wächst heran.