Marktlücke Marktlücke: Saftige Geschäfte mit dem Mostmobil
Brachstedt/MZ. - Ein eigener Apfelbaum? Wenn Matthias Konschak danach gefragt wird, muss er selbst schmunzeln. Nein, zum eigenen Apfelbaum hat er es noch nicht gebracht. Dabei gibt es seit sechs Jahren nichts, was sein Leben so sehr bestimmt wie saftige Früchte. Wandern? Kann er im Frühjahr gehen. Freie Tage? Derzeit passé. Konschak betreibt ein hierzulande rares Geschäft: eine mobile Mosterei. Jetzt, wo die Erntesaison begonnen hat, geht es sieben Uhr morgens los, und wenn er denn mal 17 Uhr wieder in Brachstedt (Saalekreis) ist, "war das ein kurzer Tag", sagt der 44-Jährige. Immer mehr Menschen wollen Saft aus den Früchten ihres eigenen Gartens.
Eigentlich ist Konschak ein Stadtkind, gelernter Restaurierungsmaler. Alte Farben und Blattgold hat er in der Schlosskapelle Allstedt (Mansfeld-Südharz) aufgebracht, als sie Ende der 80er saniert wurde. Familientauglich sei der Montagejob nicht gewesen, Projekte wie das Schloss waren die Ausnahme, erinnert er sich. Nach einem Zwischenstopp beim Fernsehen wurde Konschak Anfang der 90er Wirtschaftsberater.
Spontane Idee im Auto
Die Idee für die Mosterei kam ihm zufällig, als er auf dem Weg zu einem Termin im Autoradio eine Reportage über eine Hamburger Holunderplantage hörte, die Saft für die Pharmaindustrie pressen lassen wollte. "Ich bin jemand, der immer überlegt: Was könnte das für eine Geschäftsidee sein?", sagt Konschak. Holunder gab es im Saalekreis zuhauf. Ein Jahr später, 2006, schaffte er die erste mobile Presse an. Nur bis zum Holunder dauerte es noch zwei Jahre - "vorher war gar keine Zeit dafür". Viel zu beschäftigt war er mit der Apfelsaftproduktion, statt Blattgold bestimmten nun Jonagold oder Golden Delicious Konschaks Tage.
Saft aus den eigenen Früchten, das war in Sachsen-Anhalt zumindest kein ganz neues Projekt: Seit Ende der 90er betreibt der Naturschutzbund (Nabu) in Buch im Landkreis Stendal eine stationäre Presse. Viele Besitzer hätten damals große alte Bäume gefällt, weil sie für das viele Obst keine Verwendung hatten, sagt Uta Neuhäuser, Leiterin des Nabu-Elbezentrums. So gingen wichtige Lebensräume für Tiere verloren. Saft aus der eigenen Ernte "war der Anreiz, die Bäume weiter zu halten." Inzwischen hätten viele umgedacht, kommen Generationen, denen es um verkommene Lebensmittel Leid tut, ebenso wie junge, ernährungsbewusste Familien.
Saft aus der Lohnmosterei, sagt Markus Rösler vom Nabu-Bundesfachausschuss Streuobst, das honoriere der Verbraucher. Wobei Rösler klar unterscheidet zwischen Lohnmosterei und dem so genannten Lohntauschverfahren: Bei letzterem bringen die Kunden zwar auch ihre Äpfel zum Anbieter, bekommen aber Saft aus dem großen Pool aller Anlieferer. "Da weiß man dann auch nicht, was drin ist."
Vor allem mobile Lohnmostereien boomen, so Rösler - 100 gebe es heute bundesweit, einige mit bis zu 100 000 Litern Produktion im Jahr, nur wenige unter 10 000 Litern. Zahlen, die Matthias Konschak längst überschritten hat. In den ersten zwei Jahren hat er hauptsächlich für Obstbauern gemostet, im ersten Jahr 135 000, im zweiten schon 185 000 Liter. "Danach habe ich nicht mehr gezählt." 2008 - seinen Hauptjob als Wirtschaftsberater hatte er nun aufgegeben - wurde die zweite Presse angeschafft. "Wir hatten überschlagen: Uns fehlten schlicht 16 Arbeitstage, um alles zu schaffen."
Heute schätzt Konschak die Produktion mit nunmehr drei Pressen auf 300 000 bis 350 000 Liter im Jahr, Obstbauern und Privatkunden halten sich die Waage. Donnerstags wird in Brachstedt nach Termin gemostet, ansonsten sind Konschak und seine Kollegen - in der Saison schon sieben - auf manchem Gemeindeplatz zu finden.
50 Kilo in zehn Minuten
Voraussetzung für Termine vor Ort: Es müssen insgesamt anderthalb Tonnen zusammenkommen, damit sich die Anfahrt rechnet. Für Einzelkunden liegt die Menge niedriger: 50 Kilo sollte man aber schon bringen, wer Saft aus eigenen Früchten möchte. Bei dieser Menge vergehen keine zehn Minuten, bis sie in der zwei mal vier Meter großen Anlage verarbeitet ist: gründlich gewaschen, gepresst, durch Erhitzung auf 78 Grad haltbar gemacht und luftdicht abgefüllt. Das theoretische Rüstzeug dafür hat Konschak auch per Hochschulkurs erworben.
Unterwegs ist der Moster heute im Umkreis von 200 Kilometern, selbst Anfragen aus der Türkei und Afghanistan gab es. Außerhalb der von September bis Ende November gehenden Saison sichern ihm die Lagerbestände von Obstbauern ein Einkommen. Und längst wollen seine Kunden mehr als Apfelsaft: "Vor allem Quitten sind im Kommen. Solche steinharten Früchte allein zu Hause zu pressen, ist fast unmöglich." Pflaumen oder Mirabellen indes funktionieren nicht. "Das wird nur Matsch."
Ziele hat der 44-Jährige noch einige. Eines davon hat mit Qualität zu tun: Er wolle, dass die Kunden mit hochwertigem Obst kommen. Nicht etwa mit unausgereiften Äpfeln, die der erste August-Sturm heruntergeweht hat und deren Saft dick zu werden droht.
Aus dem Stadtkind Konschak ist unterdessen ein Mann vom Land geworden. Seine Tochter ist Landschaftspflegerin, hält Schafe. Für ihn und seine Frau, eine Ärztin, ist das Leben auf dem Dorf mit Schafen, Pferden und Kutsche "ein schöner Ausgleich". Und eines will er ganz sicher noch: drei eigene Apfelbäume pflanzen.