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Landwirtschaft Landwirtschaft: Tomaten vor den Augen

Von Ralf Böhme 12.09.2012, 18:11

Schkölen/MZ. - Angenehme 22 Grad und feuchte Luft wie am Meer. Das Arbeitsklima stimmt. Und das ist wichtig. Sonst würden fast 200 000 Hummeln streiken. Doch die 400 Insektenvölker schwärmen aus, dass es eine Freude ist. Sie bestäuben jährlich die Pflanzen im größten Bio-Tomaten-Gewächshaus Thüringens in Schkölen unweit von Naumburg.

Vergleichbare Projekte, es handelt sich um Investitionen von mehr als zehn Millionen Euro, sind auch in Sachsen-Anhalt schon lange im Gespräch. Die Landesmarketinggesellschaft steht im Kontakt mit potenziellen Investoren aus den Niederlanden. Im Moment gehört Sachsen-Anhalt laut Landwirtschaftsministerium noch zu den Bundesländern mit geringem Gewächshausanteil. Pressesprecherin Jeanette Tandel macht es konkret: "22 Hektar Blumen, sieben Hektar Gemüse und Erdbeeren." Das sei zu wenig angesichts eines Versorgungsgebiets mit 4,8 Millionen Menschen im Dreieck Berlin-Magdeburg-Leipzig.

Millionen-Investitionen

Und es gibt tatsächlich konkrete Pläne, die aber umstritten sind: in Ummendorf bei Magdeburg und in Piesteritz bei Wittenberg. 60 bis 80 neue Jobs würden wohl jeweils entstehen können. Greifbare Ergebnisse lassen aber seit Jahren auf sich warten (siehe: "Schwerer Start für die Holländer"). Derweil mehren sich die Anzeichen, dass im Brandenburgischen neue Tomatenfabriken entstehen.

Hummeln gelten als die wichtigsten Mitarbeiterinnen in solchen riesigen Gewächshäusern. Das Ergebnis ihrer Emsigkeit, die nach Feierabend mit Zuckerwasser und Pollengaben belohnt wird, kann sich in Schkölen schon beim Betriebsverkauf sehen und schmecken lassen: Ernteauftakt ist alljährlich am 1. April. Dann verlassen täglich bis zu 30 Tonnen Tomaten die Biowärme Gemüse GmbH. So geht es bis kurz vor Weihnachten. Dann folgt die nächste Neuanpflanzung.

Neun Hektar unter Glas stehen dafür seit 2010 in Schkölen zur Verfügung. Das ist eine Fläche so groß wie zwölf Fußballfelder. Unterwegs in der Anlage, steigt Eric Drößiger als technischer Leiter gern auf das Fahrrad. Der Grund: Allein der Hauptweg ist über 320 Meter lang. Rechts und links davon erstrecken sich die Beete, jeweils 130 Meter weit.

Von Pflanzen dieses Formats träumt vermutlich jeder Kleingärtner. Drei Meter und mehr klettern die Ranken in Höhe und zwölf Meter zur Seite. Unzählige Früchte schimmern - mehr oder weniger gereift - aus dem Blattwerk. Das legendäre "Harzfeuer", das viele Hobby-Gärtner schätzen, kommt jedoch nicht zum Einsatz. Aktuelle Sorten hier sind "Lyterno" bei Rispentomaten, "Delioso" bei Cocktailtomaten. Die Pflücker, jetzt sind es zwölf Frauen, rollen auf einem hydraulischen Erntewagen die Reihen entlang. Schnell füllen sie ihre grünen Kisten. Sind sie voll, rollt lautlos ein Elektromobil mit sechs Wagen heran. Insgesamt drei solcher Fahrzeuge bringen die Früchte-Ladungen zur Gütekontrolle und an den Verpackungsautomaten, beides gleich nebenan. Sensoren verhindern Kollisionen. Just in time, das ist auch in der Gärtnerei ein geflügeltes Wort. Wenige Stunden später holen vier Lastzüge die Ware ab. Über den Erzeugergroßmarkt Thüringen-Sachsen-Spreewald erreicht die Bio-Fracht die Geschäfte in nah und fern. Partner des Unternehmens sind namhafte Lebensmittel-Ketten und viele Discounter.

"Das Jahr ist noch nicht zu Ende", sagt Drößiger vorsichtig. Man liege im Plan. Doch es hätte noch besser laufen können. Er gibt der fehlenden Sonne die Schuld. Heizung und Bewässerung - das steuert der Gärtner per Computer. 250 Kilometer Rohrleitungen liegen im Boden. So gelangt die Wärme aus dem benachbarten Bio-Heizwerk, das Holzhackschnitzel verbrennt, zu den Pflanzen. Das Wasser kann zum großen Teil auf den Dächern des Gewächshauses aufgefangen werden. Aber gegen ein dunkles Frühjahr, einen kurzen Sommer - da sei man machtlos und das habe eben Folgen. Drößiger: "Bei uns sagt man, ein Prozent weniger Licht am Tag, verringert den Ertrag um ein Prozent." Dennoch, für den Laien gedeihen die 315 000 Pflanzen - acht Stück pro Quadratmeter - überaus prächtig.

Wespen gegen Blattläuse

Ihre Wurzeln stecken nicht in Erde, sondern in einem Substrat. Es besteht aus für diesen Zweck speziell aufbereiteter Steinwolle. Mit Mineralsalzen angereichertes Wasser fördert das Wachstum. Der Vorteil dieser Anbaumethode: Weniger Keime, weniger Krankheiten.

Aber nicht nur deshalb können die Schkölener auf chemische Keulen verzichten. Das Stichwort heißt Nützlinge. So nennt Drößiger beispielsweise die unzähligen Schlupfwespen im Millimeterformat, die im Gewächshaus die Blattläuse vertilgen. Auch kleine Raubwanzen sind wichtige Helfer der Gärtner - beispielsweise gegen die rote Spinne oder die weiße Fliege, die den Blättern sonst die Lebenskraft rasch aussaugen.