Interview Interview: «Unternehmen fehlt ein Moral-Konzept»
HALLE/MZ. - "Erst kommt das Fressen, dann die Moral." Der Ausspruch von Bertolt Brecht passt wieder prima zur Finanzkrise, oder?
Homann: Dies ist in der Tat ein Problem. Doch ich würde heute den Satz umdrehen: Mit mehr Moral hätten wir heute mehr zu essen. Wenn wir alle nur im reinen Wettbewerb stehen, dann wäre das Leben der Menschen einsam, brutal und kurz. Fruchtbar wird der Wettbewerb erst, wenn wir ihm Regeln geben. Dies sehen wir heute bei der Finanzkrise, wo ein funktionierendes Regelsystem fehlt.
Gibt es nicht einen grundlegenden Widerspruch zwischen Kapitalismus und Moral?
Homann: Dies sieht nur auf den ersten Blick so aus. Zum Kapitalismus gehört der Wettbewerb, der uns Wohlstand beschert. Moral ist im Wettbewerb aber ausbeutbar. Karl Marx hat daraus gefolgert: weg mit dem Wettbewerb - aus humanitären Gründen. Es hat sich allerdings gezeigt, dass Wettbewerb so produktiv ist, dass er dem Sozialismus überlegen ist. Die kapitalistische Lösung besteht darin, dass die Moral ins Regelsystem einfließt. Wie im Fußball muss es Regeln geben, innerhalb derer Wettbewerb stattfindet.
Der neoliberale Ökonom Milton Friedman meinte jedoch: "Die soziale Verantwortung der Wirtschaft ist allein die Wirtschaft."
Homann: Dies sehen viele Ökonomen heute anders. Ich habe eben gesagt, die Moral steckt grundlegend in den Spielregeln. Dies reicht aber nicht: In dynamischen Systemen decken Regeln nicht alle Fälle ab. Oft werden Normen erst mit einer zeitlichen Verzögerung aufgestellt. Daher muss es zusätzlich eine Verantwortung oder Moral der Unternehmen geben.
Eine Ethik für Unternehmen?
Homann: Wir haben das Problem, dass unsere Ethik bisher auf natürliche Personen, auf den Einzelnen, bezogen ist. Allerdings wissen wir längst, dass moralische Verantwortung auch Organisationen besitzen. Das beste Beispiel ist Siemens. Unternehmen fehlt aber oft ein Ethik-Konzept.
Wie soll dieses aussehen?
Homann: Man muss auf drei Dinge schauen: auf die Unternehmensverfassung, auf die Unternehmenskultur und die Art und Weise, wie Firmen moralische Forderungen wie Solidarität oder Menschenwürde aufnehmen und bearbeiten. Gibt es also eine Stelle für moralische Belange und wem untersteht diese? Bei Mittelständlern kann der Eigner dies übernehmen, in großen Unternehmen ist dies allerdings komplexer.
Viele Konzerne besitzen Ethikkodizes, doch wenn der Aktienkurs fällt, werden schnell tausende Menschen auf die Straße gesetzt.
Homann: Moral im Sinne von Fairness wird immer mehr zu einem Produktionsfaktor. Vielleicht nicht kurzfristig, aber auf längere Sicht. Firmen haben wirtschaftliche und technologische Risiken. Sie haben aber auch immer öfter moralische Risiken. Die Schmiergeld-Affäre bei Siemens kostet den Konzern fünf Milliarden Euro.
Zahlt sich ethisches Handeln aus?
Homann: Dies ist kein Selbstläufer. Die Organisation muss gestaltet werden. Etwa, dass Managerinnen mit Kindern Aufstiegschancen erhalten. Dies erfordert neue Organisationsformen.
Und so kann man auch Finanzkrisen verhindern?
Homann: Die derzeitige Finanzkrise entstand vor allem durch fehlende Regeln. Den Bankern zu unterstellen, sie haben aus Gier gehandelt, ist falsch. Einige waren mit neuen Finanzprodukten erfolgreich. Andere sind ihnen gefolgt, weil sie im Wettbewerb nicht zurückfallen wollten. Und dieser Mechanismus führte dazu, dass immer mehr in riskante Geschäfte investiert wurde. Es entstand eine Blase - die nun platzte. Wenn sich die Branche Transparenzregeln verordnet, könnte solchen Entwicklungen vorgebeugt werden.