Geschichte Geschichte: Die letzten Spielzeugmacher von Sonneberg

Sonneberg/ddp. - Runde, quadratische undrechteckige Fertigungshallen liegen hier auf einem drei Hektar großenGelände verstreut. Eine meterhohe Stahlpuppe auf dem Dach einesverwaisten Hochhauses scheint das Areal zu überwachen.
Lediglich im hintersten Winkel des einstigen SpielwarenkombinatsSonni im südthüringischen Sonneberg sitzen heute noch vier Frauen ineiner alten Kompressorenstation und tun das, womit hier vor 20 Jahrenrund 8000 Menschen beschäftigt waren. «Hauptsächlich nähen wir hierTeddys, Puppen und Plüschtiere. Im Prinzip alles das, was früher auchgemacht worden ist», sagt Gudrun Hentschel, die Geschäftsführerinjener kleinen Firma, die übriggeblieben ist vom einst größtenSpielwarenkombinat der DDR.
Vor 20 Jahren versorgten die Sonneberger mit ihrer Handwerkskunstden gesamten Ostblock und westliche Warenhäuser. «Jeden Tag gingallein ein kompletter Güterzug nach Russland», beschreibt Hentscheldie einstigen Dimensionen. Die Zeiten sind vorbei. Die Sonnebergerhaben nach der Wende zu spüren bekommen, was der Beginn industriellerMassenproduktion in China bedeutete. «Zu DDR-Zeiten waren wir nochdie Billiglöhner für den Westen. Und als wir nach 1989 die niedrigenPreise nicht halten konnten, kamen plötzlich die Chinesen auf denMarkt und waren viel, viel günstiger», sagt Hentschel.
Die Aufträge, die ihre kleine Firma heute abarbeitet, sindüberschaubar. Gelegentlich bestellt eine Werbefirma eine KleinseriePuppen für Schlüsselanhänger, manchmal will ein Kinderkrankenhauseinen anatomischen Teddy für die Gesundheitsaufklärung. «Es gibtZeiten, da wird es schon eng. Aber irgendwie kommen wir dann dochimmer durch», sagt die zierliche Frau über den stetigenÜberlebenskampf. Dabei klingt sie mehr stolz als frustriert. Nurmanchmal, wenn Hentschel die Nachrichten aus China überkrebserregende Stoffe in Spielsachen hört, hadert sie noch mit demSchicksal. «Sowas nimmt man dann hierzulande in Kauf, um noch einbisschen mehr Geld zu sparen», sagt sie.
Vor gut 100 Jahren arbeiteten jene Marktgesetze, die heute dieChinesen nutzen, noch für die Südthüringer. Denn im 19. Jahrhundertbegannen Heerscharen bettelarmer Sonneberger damit, Puppen ausBrotteig zu fertigen und so eine Massenproduktion zu begründen. Siekopierten dabei häufig teure Originale und überschwemmten mitschlechten Imitaten vor allem den amerikanischen Markt. Der auf dieseWeise angehäufte Reichtum ist heute noch überall in Sonnebergpräsent. Prächtige Gründerzeithäuser prägen das Bild der 23 000Einwohner zählenden Stadt und im Deutschen Spielzeugmuseum sind dieSchaustücke zu bewundern.
Das alles sind Pfunde, mit denen der Spielzeughersteller RainerMartin heute am liebsten wuchern würde. «In der Produktion mit denChinesen mithalten zu wollen, wäre Schwachsinn. Also müssen wir mitQualität und unserer Geschichte punkten», sagt Martin, der sich nachder Wende auf handgefertigte Teddys spezialisiert hat. Er hat Ideen,wie Sonneberg seine Position wieder verbessern könnte. Vor allemTouristen hat er im Blick. Doch dazu müsste sich Sonneberg aus seinerSicht modernisieren. «Viele Leute kennen ja Sonneberg. Aber dieBesucherzahlen sinken, und gleichzeitig ist im Spielzeugmuseum alleswie vor 50 Jahren», beklagt Martin.
Im Kampf um Touristen würde er gerne mehr mit der fränkischenNachbarstadt Neustadt kooperieren, wo das Spielwarenhandwerkebenfalls eine lange Tradition hat. Doch die kommunalenEntscheidungsträger in seiner Stadt weigern sich. «Das kommt vonfrüher, als Thüringer und Franken noch Konkurrenten waren. Heuteheißen die Bösen eben Wessis, mit denen man nichts zusammen machenwill», sagt Martin.
Er selbst hat gezeigt, wie es gehen kann. Die teuren Sammlerteddysverkaufte der pfiffige Geschäftsmann schnellredend im Shopping-TV anwestdeutsche Kunden, und auch mit seinem jüngsten Projekt hält ersich nicht an alte Grenzen. «Wir gehen in Schulen und Kindergärtenvon Bayern bis nach Berlin und lassen Kinder ihre eigenen Teddysmachen», erzählt Martin. So hofft er, dass die Kinder nicht nur eintolles Erlebnis haben, sondern sich auch den Namen Sonnebergeinprägen.
Gudrun Hentschel beschäftigt sich mit derlei Fragen nicht. Sie seinun mit 56 Jahren der Rente nahe. Bis es soweit ist, hofft sie aufgenügend Aufträge, um ihre Näherinnen über die Runden zu bringen.Spätestens mit 60 will sie die schweren Tore der Kompressorstationfür immer hinter sich zuziehen. «Der Eigentümer wartet schon darauf,um alles wegreißen zu können», sagt sie mit einem Lächeln.
Besagter Eigentümer ist eine Firma, die ihr Geld ebenfalls mitSpielzeug verdient. Simba Dickie Toys heißt sie und hat sich schonvor Jahren mit einem Logistikzentrum am Rande des ehemaligenSpielwarenkombinats niedergelassen. Über 100 Sonneberger sind hiermittlerweile beschäftigt. Ihr Job besteht darin, die rund 1500 ausChina kommenden Container zu entladen und auf deutsche Abnehmer zuverteilen.