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Falsche Solidarität für Kinder schlimm

08.05.2003, 15:59

Halle/MZ. - Herr Fengler, was genau versteht man unter Co-Abhängigkeit?

Fengler: Co-Abhängigkeit heißt auf Deutsch: Alle sorgen dafür, dass sich an der Alkoholabhängigkeit des Betroffenen nichts ändern muss. Die Ehefrau ruft in der Firma an und sagt, ihr Mann sei krank - obwohl er betrunken auf der Couch liegt. Kinder laden keine Freunde mehr nach Hause ein, weil sie sich für die Mutter schämen. Und wenn sie geschlagen werden, sagen sie, sie hätten sich am Schrank gestoßen. Kollegen springen für den Alkoholkranken ein. Dahinter steckt eine Solidarität, wie sie prinzipiell wünschenswert ist, aber an dieser Stelle ist sie falsch.

Für die Kinder des Süchtigen ist es doch besonders schlimm, co-abhängig zu sein?

Fengler:Ja. Denn sie sind in einer besonderen Lage: Sie haben keine Alternativen - vor allem, wenn sie jung sind, können sie nicht einfach ausziehen. Und eigentlich möchten sie die Eltern viel lieber bewundern als verachten. So halten sie lange die Illusion aufrecht, der Vater habe nur eben an diesem einen Abend zu viel getrunken, künftig werde alles besser.

Wie ist Co-Abhängigen zu helfen?

Fengler: Man muss ihnen helfen, an sich selbst zu denken. Man muss sie dahin führen, dass sie sich wieder fragen: Was für Wünsche habe ich eigentlich? Was will ich persönlich in meiner Freizeit wirklich tun? Was will ich beruflich einmal schaffen? Kinder von Suchtkranken müssen dabei ihren Vater oder ihre Mutter nicht verlassen, aber sie müssen ihn oder sie streckenweise loslassen können und sich zu autonomen, selbstbestimmten, Wesen zurückentwickeln. Ihren Freundeskreis pflegen und ihre Schulausbildung, die oft unter einer solchen Abhängigkeit der Eltern leidet, wieder stärker ins Auge fassen.

Jörg Fengler: "Handbuch der Suchtprävention", 631 Seiten, ecomed Verlagsgesellschaft