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Europäische Union Europäische Union: Chemiebranche kann aufatmen

17.11.2005, 12:34
Die Chemieexpertin des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland), Patricia Cameron, stellt am Dienstag (15. November 2005) vor dem Europaparlament in Straßburg «Giftzwerge» auf eine Mauer, um gegen die Chemikalienpolitik der EU zu protestieren. (Foto: dpa)
Die Chemieexpertin des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland), Patricia Cameron, stellt am Dienstag (15. November 2005) vor dem Europaparlament in Straßburg «Giftzwerge» auf eine Mauer, um gegen die Chemikalienpolitik der EU zu protestieren. (Foto: dpa) dpa

Straßburg/dpa. - Damit sollvor allem der Mittelstand vor zu hohen Kosten und zu viel Bürokratiegeschützt werden. Ziel der Verordnung ist es, den Schutz vonVerbrauchern und Umwelt vor Chemikalien zu verbessern.

Der europäische Mittelstandsdachverband reagierte positiv auf dieEntscheidung. Man könne mit dem Kompromiss gut leben, sagte derdeutsche und europäische Mittelstandspräsident Mario Ohoven. DerIG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt sprach von einem «guten Tagfür Deutschland und Europa». Der Verband der Chemischen Industrie(VCI) bezeichnete die Abstimmung als widersprüchlich.

Hingegen zeigte sich die Europäische Verbraucherorganisation beuc«tief enttäuscht». Eine genaue Untersuchung der gefährlichstenSubstanzen sei nun nicht möglich. Enttäuscht waren auch die Umwelt-und Frauenverbände BUND, Greenpeace und WECF. Die chemische Industriehabe sich weitgehend durchgesetzt, hieß es in einer gemeinsamenPressemitteilung. Der Schutz von Frauen, Männern, Kindern und Umweltdürfe aber nicht kurzsichtigen Interessen von Chemieproduzentengeopfert werden.

Bei dem Votum in erster Lesung stimmten 407 Abgeordnete für denveränderten Gesetzestext, 155 dagegen. Die Mitgliedsländer müssen demGesetz noch zustimmen. In einigen wesentlichen Punkten ist derVorschlag der britischen Ratspräsidentschaft dem Parlamentspapiersehr ähnlich. Dennoch rechnet der sozialistische italienischeParlamentsberichterstatter Guido Sacconi mit einer zweiten Lesung inder Volksvertretung: «Ich könnte mir vorstellen, dass das Gesetz 2007in Kraft tritt», sagte er nach dem Votum am Donnerstag.

REACH (Registrierung, Evaluierung und Autorisierung vonChemikalien) verlangt von den Unternehmen, binnen elf Jahrenumfassende Datensätze von rund 30 000 Stoffen zu erheben, die vor1981 auf den Markt kamen. Sie werden zum Teil seit Jahrzehntenverwendet, ohne jemals genau untersucht worden zu sein. Eine noch zuschaffende EU-Behörde wird die Daten prüfen und die Substanzengegebenenfalls zulassen.

Im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag hat dasParlament die Datenmengen aber vor allem in kleinenmittelstandsrelevanten Produktionsmengen deutlich gesenkt. Grüne,Linkssozialisten und Verbraucherverbände sehen darin eine untragbareVerwässerung von REACH. «Für fast 40 Prozent der Substanzen müssendie Unternehmen nicht ausreichend Daten zur Verfügung stellen.Dadurch steigt die Gefahr, dass giftige Substanzen nicht entdecktwerden», sagte die die Europaabgeordnete Hiltrud Breyer (Grüne).

Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke sprach von einem«schwarzen Tag für den Verbraucherschutz». Über die Auswirkungendieser Chemikalien auf die menschliche Gesundheit, auf Fruchtbarkeitund über die Krebsrisiken sei fast nichts bekannt, warnte sie. Durchein strenges REACH könnten Gesundheitskosten in Milliardenhöheeingespart werden.

Die Mehrheit aus Konservativen, Sozialisten und Liberalen imParlament teilt diese Sorge allerdings nicht: «Es macht keinen Sinn,blind unnütze Daten zu fordern, die dann auf Datenfriedhöfenverschwinden ohne Menschen und Umwelt zu nutzen», sagte derSPD-Europaabgeordnete Bernhard Rapkay. Sein CDU-Kollege HartmutNassauer stimmte zu: «Es ist uns gelungen, einen vernünftigenAusgleich zwischen den berechtigten Interessen des Umwelt- undVerbraucherschutzes einerseits und der Erhaltung derWettbewerbsfähigkeit andererseits zu erreichen.»

Als Wermutstropfen empfanden deutsche Politiker von CDU/CSU, SPDund FDP, dass sich das Parlament mit knapper Mehrheit dafürausgesprochen hat, gefährliche Stoffe für maximal fünf Jahrezuzulassen. Danach sollen sie gegen ungefährlichere Chemikalienausgetauscht werden: «Kein Unternehmen wird nur einen Cent fürForschung und Entwicklung in die Hand nehmen, wenn es nicht von einerwirtschaftlich vertretbaren Laufzeit seiner Produkte ausgehen kann»,kritisierte Nassauer. Holger Kramer (FDP) sagte, mit diesem Votumseien «mit einem Knopfdruck etwa 770 000 Arbeitsplätze in derdeutschen Automobilindustrie aufs Spiel gesetzt» worden.VCI-Präsident Werner Wenning ermahnte den Ministerrat, diese Regelungzu verwerfen: «Diese Beschlüsse würden zu erheblichenRechtsunsicherheiten führen und damit Investitionen inheimische Produktionsstandorte behindern.»