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Die Herrin der Greifvögel Die Herrin der Greifvögel: Frei wie der Wind und treu

Von Kai Agthe 16.06.2019, 08:00
Dieses Luftbild machte Weißkopfseeadler Allie quasi im Vorbeiflug. Am oberen Rand des Fotos sind sein Schnabel und sein Flügel zu sehen.
Dieses Luftbild machte Weißkopfseeadler Allie quasi im Vorbeiflug. Am oberen Rand des Fotos sind sein Schnabel und sein Flügel zu sehen. Sandra Jung

„Der Ausblick von dort oben muss wunderbar sein, wie gerne würde ich die Welt nur für einen einzigen Tag durch die Augen eines Greifvogels sehen“, schreibt Sandra Jung.

Es sind Gedanken wie diese gewesen, die die heute 26-Jährige dazu brachten, ihr Leben den Greifvögeln zu widmen. Wie so oft im Leben, spielte auch hier der Zufall eine entscheidende Rolle: Der Einladung einer Freundin folgend, ging Jung im Jahr 2009 zu einer Greifvogel-Vorführung. Was sie sah und von Falknern über die Jäger der Lüfte erfuhr, begeisterte sie derart, dass auch sie Falknerin werden wollte.

Was als Hobby einer Oberschülerin aus der Nähe von Köln begann, entwickelte sich bald zur echten Berufung. Seit dem Frühjahr 2018 betreibt Sandra Jung die Falknerei hauptberuflich auf Burg Greifenstein bei Bad Blankenburg.

Ihren Weg von dem an Greifvögeln faszinierten Mädchen aus Nordrhein-Westfalen zur professionellen Falknerin in Thüringen zeichnet sie jetzt in ihrem Buch „Die Herrscher der Lüfte und ich" (Buch bei Amazon kaufen) nach.

Wer hatte die Idee, diesen Werdegang in einem Buch publik zu machen? „Nachdem die ersten Medienberichte über unsere Falknerei auf Burg Greifenstein erschienen waren, kam der Ullstein-Verlag aus Berlin auf mich zu und fragte, ob ich nicht Lust hätte, meine Geschichte in einem Buch zu erzählen.“ Sie hatte Lust mitzuteilen, wie sie sich ihren Traum vom Glück erfüllte.

Sicher war der Schritt, eine eigene Falknerei aufzubauen, vor allem aus finanziellen Erwägungen, eine kühne Entscheidung, die Sandra Jung und ihr Freund Ben, trotz Startschwierigkeiten, gemeistert haben: In ihrer ersten Saison konnten beide im vergangenen Jahr, ohne vorher groß dafür geworben zu haben, bei ihren Greifvogel-Flugshows insgesamt 19.000 Gäste auf Burg Greifenstein begrüßen.

Für die Tiere sei die Thüringer Feste über dem Kurort Bad Blankenburg wegen der hier herrschenden Thermik die perfekte Burg, sagt Sandra Jung.

Verschiedener Adler und Greifvögel: Diese Tiere fliegen in Sandra Jungs Show

23 Greifvögel gehören inzwischen zum Bestand: vom Andenadler über Bussarde und Eulen bis zum Weißkopfseeadler. Jüngstes Mitglied der großen Tierfamilie von Sandra Jung und ihrem Freund Ben ist ein Gänsegeier.

Obwohl der mit einer gewaltigen Spannweite von 2,80 Meter eine imposante Erscheinung am Himmel über dem Greifenstein ist, stapft der Greifvogel gern zu Fuß übers Burggelände. Das sieht wenig grazil aus, deshalb sorgt das Tier für so manchen Lacher bei den Besuchern der Flugshows, die seit April wieder zu erleben sind.

Der Weg zur Berechtigung, Greifvögel halten und abrichten zu dürfen, ist übrigens ein langer: Einfach einen Falknerkurs zu belegen, wie man vielleicht denken mag, ist in Deutschland nicht möglich.

Voraussetzung, um einen Falknerjagdschein machen zu können, ist es, zuvor den klassischen Jagdschein erworben zu haben. Diesen Aufwand wird sicher nur betreiben, wem es mit der Haltung von Greifvögeln ernst ist.

Auch die Haltung eines Greifvogels ist in der Bundesrepublik gesetzlich genauestens, also streng geregelt. „Glücklicherweise“, wie Sandra Jung sagt und erklärt, was das konkret bedeutet. „Ein Greifvogel muss mindestens jeden zweiten Tag Freiflug bekommen, braucht immer frisches Wasser und ausgewogene Atzung“, so die Fachfrau.

Das letztgenannte Wort klingt seltsam altertümlich, dürfte aber allen Menschen bekannt vorkommen, die gern Kreuzworträtsel lösen: Atzung ist der Fachbegriff für das Greifvogel-Futter, das aus dem Fleisch verschiedener Tierarten besteht; so werden etwa Küken an die Schlingfresser verfüttert.

Überhaupt besitzt die Falknersprache ihre ganz eigene Terminologie. Die Beine eines Greifvogels etwa werden Ständer genannt, und der Schwanz wiederum heißt Stoß. Beim Geschüh handelt es sich um jene Riemen, die an den Beinen der Vögel befestigt sind, mit denen sie der Falkner auf dem Lederhandschuh halten kann, der vor Verletzungen durch die Krallen schützt.

Nach heute geltenden Maßstäben ist die über Jahrhunderte gewachsene Falknersprache politisch nicht korrekt: Das Männchen heißt Terzel, der weibliche Greifvögel wird aber kurz und bündig als Weib bezeichnet.

Zur Ausstattung einer Voliere gehört neben dem Sprenkel, einer meist kniehohen Stange, auf der ein Greifvogel sitzen kann, auch die Bente, was im Falkner-Fachjargon eine Greifvogelbadewanne meint. Sind diese Utensilien vorhanden, wird sich ein Greifvogel in seinem Käfig auch wohl fühlen.

„Denn nur ein entspannter Greifvogel ist ein zufriedener Greifvogel“, sagt Sandra Jung. Eindeutige Entspannungsmerkmale sind laut der Wahl-Thüringerin, wenn ein Tier, auf dem Sprenkel sitzend, sein Gefieder pflegt oder ein Bein einzieht.

Die wichtigste Voraussetzung, damit Mensch und Tier miteinander harmonieren, ist ein gelungenes Abtragen. „Abtragen nennt der Falkner das Gewöhnen des Tieres an sich selbst und die Umwelt sowie die späteren Trainingsflüge zum Handschuh“, erklärt Sandra Jung.

Zum Abtragen gehören unter anderem Spaziergänge mit dem Tier auf dem Arm, um es an äußere Einflüsse wie laute Geräusche zu gewöhnen. Erst wenn das gegeben ist, kann man überlegen, auf Beizjagd zu gehen. Bei dieser jagt der Vogel freilebendes Wild. Das ist die Königsdisziplin der Falknerei, die in früheren Zeiten eine Betätigung für Könige und Fürsten war und heute zum immateriellen Weltkulturerbe der Unesco zählt.

Danach gefragt, was das Besondere der Verbindung von Mensch und Greifvogel ausmacht, sagt Sandra Jung ohne lange zu überlegen: „Die Vertrauensbasis zwischen uns hat etwas Magisches. Greifvögel steigen jeden Tag in den Himmel auf und kehren dennoch immer wieder nach Hause zurück.“ Sie sind frei wie der Wind und dennoch treu. Und auf Burg Greifenstein haben die Vögel ein optimales Zuhause - und die junge Falknerin auch: „Ich wünsche mich an keinen anderen Ort“, sagt Sandra Jung. (mz)