Gewerkschaft IG Metall für Gerechtigkeitsdebatte zu Energiehilfen
Die Gas- und Strompreisbremsen sollen alle Bürger gleichermaßen unterstützen - unabhängig vom Einkommen. Bei aller grundsätzlichen Zustimmung sieht die IG Metall eine Gerechtigkeitslücke. Wirkt sich die Unsicherheit auch auf die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder aus?

Hannover - Die IG Metall mahnt nach dem Beschluss der Energie-Entlastungspakete eine genauere Ausrichtung der Hilfen an. „Gas- und Strompreisbremse, die Ausweitung der unterstützenden Einmalzahlung auch auf Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende und einige weitere Dinge sind aufgegriffen worden“, sagte der Bezirkschef der Gewerkschaft in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, Thorsten Gröger, der Deutschen Presse-Agentur. „Aber mit Sicherheit wird man noch hier und da nachsteuern müssen.
Er bezog sich damit vor allem auf zwei Punkte, die aus seiner Sicht wegen des Zeitdrucks vor dem Winter nicht hinreichend ausgearbeitet werden konnten. „Zum einen war es wichtig, dass erst einmal möglichst zügig für Entlastung gesorgt wird“, sagte Gröger. „Preisdeckelungen schaffen eine gewisse Sicherheit. Aber jetzt müssen wir den Grad der Genauigkeit der Entlastungen verbessern. Viele der Hilfen kommen ja auch bei Leuten an, die sie eigentlich gar nicht brauchen.“ Der Gewerkschafter betonte, es gehe um Effizienz wie um Gerechtigkeit.
Andererseits appellierte Gröger an die Politik, nochmals präziser zu überdenken, wie die staatlichen Unterstützungen aufgebracht werden. Nachvollziehbar begründete Steuererhöhungen für Reiche dürften in der Energiekrise und Inflation kein Tabu sein. „Wenn man gleichzeitig möglichst wenig Schulden machen will und Steuererhöhungen selbst dort, wo sie tragfähig wären, ablehnt, dann werden die Hilfen - so wichtig sie auch sind - irgendwann zulasten anderer wichtiger Themen gehen“, sagt Gröger. Dabei fehle es auch an vielen weiteren Stellen an öffentlichem Geld, der Investitionsstau greife um sich.
„Ganz akut ist die Debatte um die Lage in den Krankenhäusern“, nannte er als Beispiel. „Und wir wissen, wie hoch der Bedarf bei Bildung, Schulen, öffentlichen Gebäuden und der Verkehrsinfrastruktur ist. Wenn der politische Wille fehlt, Änderungen sowohl an der Verschuldung als auch am Steuersystem zuzulassen, wird es schwierig.“
Die Verteilungsfrage stelle sich „auch deshalb so krass, weil sich eine soziale Last nach der anderen auftürmt. Bankenkrise, Corona, Transformation der Wirtschaft, Kriegsfolgen, Rekordinflation - das ist so groß, da muss die Priorität für Investitionen höher sein als für die schwarze Null. Und diejenigen mit breiteren Schultern müssen mehr zu tragen bereit sein.“ Gröger sprach sich dafür aus, sehr hohe Einkommen zumindest zeitlich begrenzt höher zu besteuern. „Und wir müssen sehr große Vermögen überhaupt zur Besteuerung heranziehen.“
Die weltwirtschaftliche Situation sei derzeit zu unsicher, um belastbare Prognosen für das neue Jahr abzugeben, sagte Gröger in Anlehnung an die Einschätzungen vieler Ökonomen. Für die Metall- und Elektroindustrie hatte die IG Metall nach einer hitzigen Tarifrunde jüngst eine Erhöhung der Entgelte in zwei Stufen um 5,2 und 3,3 Prozent vereinbart. Der Tarifvertrag läuft bis zum Herbst 2024.
„Wenn wir im September 2024 wieder mit den Arbeitgebern am Tisch sitzen, müssen wir schauen, wie groß das Paket wird, das wir dann zu bearbeiten haben“, so Gröger. Leicht dürfte es wohl nicht werden. Schon 2023 stehen mehrere Tarifrunden an - etwa bei Stahl, Textil und Bekleidung sowie im Kfz-Handwerk und in weiteren Handwerksbranchen.
Die Rückmeldungen aus den Belegschaften zum aktuellen Abschluss seien positiv ausgefallen, sagte Gröger. Für die Arbeitgeber sei eine relativ lange Laufzeit wichtig gewesen - und die Tatsache, dass angeschlagene Betriebe eine spätere Auszahlung von Einmalzahlungen vornehmen können. Eine weitere Leistung - das tarifliche Zusatzgeld B - kann außerdem unter bestimmten Bedingungen zunächst angehalten und bei entsprechendem Nachweis schwindender Ertragskraft auch gekürzt oder ganz gestrichen werden. „Wir lieben diese Regelung nicht, aber für die Arbeitgeberseite war sie ein sehr wichtiger Punkt.“
Gröger deutete an, dass sich die Mitgliederentwicklung wieder positiver darstelle. „Genauere Zahlen gibt es erst zum Jahresbeginn 2023. Aber wir können schon jetzt sagen, dass wir während der Tarifrunden eine deutliche Dynamik bei den Neueintritten hatten - und das hat nicht geendet mit der Unterschrift unter den Abschluss.“