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Soldaten mit Stahlhelm und Fackeln vor dem Parlament Hitzige Debatte über Zapfenstreich der Bundeswehr vor dem Reichstag

Mit Trommeln und Fackeln wird der Afghanistan-Einsatz in Berlin feierlich gewürdigt. Im Netz hagelt es nach dem Zapfenstreich der Bundeswehr plötzlich NS-Vergleiche. Wie groß ist die Entfremdung von Gesellschaft und Truppe?

Von Nico Pointner, dpa Aktualisiert: 14.10.2021, 16:01
Soldaten mit Fackeln vor dem Reichstag. Nicht jeder fand die Zeremonie angemessen.
Soldaten mit Fackeln vor dem Reichstag. Nicht jeder fand die Zeremonie angemessen. Foto: imago images/Stefan Zeitz

Berlin - Dutzende Soldaten in dunklen Uniformen, die im Gleichschritt vor dem Reichstagsgebäude aufmarschieren, sie tragen brennende Fackeln und ernste Gesichtszüge, dazu ein pompöser Militärmarsch. Gedacht als eine anrührende Gedenkstunde, als höchste Ehrung für die etwa 90 000 deutschen Soldaten, die mit der Bundeswehr in Afghanistan waren und dort ihr Leben riskierten. Bei einigen Beobachtern sorgen die Bilder des Großen Zapfenstreichs vom Mittwochabend allerdings im Nachgang für Befremdung und Unbehagen. Manche ziehen gar Parallelen zur NS-Zeit, als Nazis 1933 mit Fackeln durch das Brandenburger Tor schritten.

Am Morgen nach dem Zeremoniell, die letzte Fackel ist längst erloschen, entfaltet sich eine hitzige Debatte auf Twitter. Tausende Nutzer posten zu Hashtags wie #Wehrmacht und #Ritual, das Schlagwort #Zapfenstreich liegt zeitweise auf Platz zwei der Twitter-Trends für Deutschland. Nun hat das Kurznachrichtenportal einen gewissen Blasencharakter, der mitunter das Meinungsbild der Bevölkerungsmehrheit verzerrt. Aber aus der Debatte lässt sich auch etwas lesen über das Verhältnis einer Gesellschaft zu ihrer Armee.

Zapfenstreich am Reichstag sollte Einsatz in Afghanistan würdigen

Bei der Feier am Mittwochabend soll es um Anerkennung gehen, um Würdigung und um einen vorläufigen Schlusspunkt für einen schwierigen, schmerzhaften und langen Einsatz der Truppe. 59 Soldaten ließen am Hindukusch ihr Leben. Der Große Zapfenstreich ist das höchste militärische Zeremoniell der deutschen Streitkräfte. Mit dem Brauch werden etwa Bundespräsidenten und Bundeskanzler sowie Verteidigungsminister bei ihrer Verabschiedung geehrt. Seine Ursprünge liegen nicht in der NS-Zeit, sondern gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Das Zeremoniell findet immer abends statt, besteht aus einem Aufmarsch, mehreren Musikstücken - darunter die Nationalhymne - und dem Ausmarsch. Fackeln gehören immer dazu.

Eine Reihe von Nutzern, aber auch linke Politiker, fühlen sich durch die Szenen der Zeremonie aber an dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnert, insbesondere weil der Fackelzug nicht etwa im Bendlerblock, sondern vor dem Reichstagsgebäude stattfand. „Wenn Deutsche Fackeln in die Hand nehmen“ sage sie mit Max Liebermann „ick kann janich so viel fressen, wie ich kotzen möchte“, schreibt die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth. Die Linke-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen verweist auf die zivilen Opfer des Afghanistan-Krieges und toten Soldaten. „Was gibt es da zu feiern mit diesem militaristischen Mummenschanz?“

„Was soll das militaristische Ritual aus Preußen und NS-Zeit“, fragt Grünen-Urgestein Christian Ströbele. Der Satiriker Jan Böhmermann schreibt, er finde „Fackelmärsche von Uniformierten vorm Reichstag richtig, richtig scheiße“. Warum denke sich das Land der Tüftler nicht mal eine Zapfenstreich-Innovation aus, fragt er.

Ministerium verteidigt Militär-Zeremonie in Berlin

Das Bundesverteidigungsministerium reagiert ernüchtert auf die Kommentare. „Debatte ist notwendig und wichtig. Vergleiche mit dem dunkelsten Kapitel Deutschlands enttäuschen uns“, schreibt das Ministerium auf Twitter. Die Bundeswehr sei eine Parlamentsarmee. „Als diese hat sie ihren Platz inmitten der Gesellschaft - bei besonderen Anlässen auch vor dem Reichstagsgebäude.“ Ein politischer Missbrauch des Zapfenstreichs sei unwürdig. Aus Kreisen heißt es, man habe sich im Einklang aller Verfassungsorgane auf den Ort geeinigt.

Unter anderem der Bund Deutscher Einsatzveteranen hatte sich eine Würdigung des Einsatzes vor dem Reichstagsgebäude gewünscht. 2015 gab es dort auch einen Großen Zapfenstreich - zum 60-jährigen Bestehen der Bundeswehr. Für eine Parlamentsarmee könne er sich keinen besseren Platz vorstellen als den Sitz des Parlaments, um die Leistung der Bundeswehr und die Opfer der Truppe zu würdigen, sagte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, der dpa. „Die Kritik daran, die jetzt aus dem linken Spektrum laut wird, ist aus meiner Sicht Ausdruck einer generellen Ablehnung des Militärischen im Allgemeinen und der Bundeswehr im Besonderen.“

Debatte über Form und Art der Bundeswehr-Zeremonie

Auch Verteidigungspolitiker protestierten aufs Schärfste. „Zeremoniell war in Form, Würde & am einzig richtigen Ort (Parlamentsarmee vor Parlament) absolut angemessen“, kommentierte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour bezeichnete den Zapfenstreich als „richtig, würdevoll und bewegend“. „Wer die Parlamentsarmee #Bundeswehr wegen eines Jahrhunderte alten Zeremoniells mit der #Wehrmacht (!) vergleicht, hat die Kontrolle über sein Denken verloren“, kritisiert FDP-Politiker Marco Buschmann.

„Man kann sich nicht in Sonntagsreden beschweren, dass der Einsatz in Afghanistan einen breiteren Raum einnehmen soll in der Debatte, und dann den Soldaten sagen: Geht fürs Zeremoniell in die Kaserne“, sagte der Grünen-Politiker Tobias Lindner - aufgrund der Teilnahme an einer mehrtägigen Übung selbst Panzerschütze der Reserve - der Deutschen Presse-Agentur. Man müsse zwar diskutieren, was traditionswürdig für die Bundeswehr sein könne und was nicht - aber man könne Zeremonien nicht frei erfinden. „Auch andere Zeremonien wie Serenaden werden mit Fackeln abgehalten“, sagte Lindner. Der Große Zapfenstreich sei weder ein Ritual aus dem Dritten Reich, noch eines, „das etwas Heroisches hochzieht“. Aber die Kritik daran zeige auch, wie schwierig die öffentliche Debatte sei.