1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Vier Tote in Wohnung gefunden: Beziehungstat in Jena: Winzerla zwischen Trauer und Wut

Vier Tote in Wohnung gefunden Beziehungstat in Jena: Winzerla zwischen Trauer und Wut

Von Thorsten Büker und Jens Henning 21.11.2018, 06:00
Polizisten tragen die Leichen aus dem Haus. Dort war es zu der Beziehungstat gekommen.
Polizisten tragen die Leichen aus dem Haus. Dort war es zu der Beziehungstat gekommen. dpa

Jena - Eine 25-Jährige trennt sich kurz vor der Geburt des gemeinsamen Kindes von ihrem Mann - jetzt sind sie, das drei Wochen alte Baby, ihr neuer Freund und der Ehemann tot. Die Ermittler vermuten eine Beziehungstat.

Am Tag nach dem Fund der Leichen herrscht Fassungslosigkeit: In Jena trauert man um vier tote Menschen. Vor allem die Frage, warum der mutmaßliche 38-jährige Täter den eigenen Sohn, ein gerade mal drei Wochen altes Baby, mit in den Tod riss, vermag niemand zu beantworten.

Jena nach Beziehungstat geschockt: Die Frage nach dem Warum

„In mir herrscht tiefe Trauer. Wenn ich daran denken muss, kommen mir die Tränen“, sagt am Dienstagmittag eine 51-jährige Frau. Sie ist auf dem Weg zur Spätschicht.

Davor stellt sie am Eingang des Mehrfamilienhauses eine rote Kerze hin und zündet sie an. „Die drei in den Tot gerissenen Menschen werden dadurch nicht wieder lebendig. Mir war es aber wichtig, in irgendeiner Art und Weise meine Anteilnahme zu zeigen“, erklärt die Frau.

Das brutale Verbrechen beschäftigt alle Menschen, die im Stadtteil Winzerla wohnen und arbeiten. Fast jeder ist fassungslos und stellt immer die gleiche Frage: die Frage nach dem Warum. Ein 31-jähriger Mann, der in einer benachbarten Straße wohnt, umschreibt seine Gefühle mit den Worten: „Ich kann es nicht begreifen.“

„Wenn du dich getrennt hast, fühlst du dich in eine Ecke getrieben. Aber dann solch eine Tat begehen?“ fragt ein Mann (64), der seit 20 Jahren einen Eingang weiter in dem Wohnblock wohnt. Die zwei Erwachsenen mit dem Baby, die in dem Haus wohnten, kannte er nicht. „Früher war das anders. Da gab es Hausgemeinschaften. Aber heute grüße man sich gerade noch. Das war’s aber auch schon. Die Leute ziehen ein, ziehen aus“, sagt er.

Als „geisteskrank“ bezeichnet ein junger Mann, der beruflich in den Wohnblöcken zu tun hat, die Tat des 38-jährigen mutmaßlichen Täters. „Ich bin selbst Vater, ich habe zwei Kinder. Das kann ich aber nicht nachvollziehen. Jeder hat Probleme. Man darf dann trotzdem nicht so am Rad drehen. Aber man kann halt nie in den Menschen hineinschauen. Er kann vor dir stehen, nett sein. Im anderen Augenblick tickt er aus. Das muss hier passiert sein“, sagt der Vater, der auch in Winzerla lebt.

Eine junge Frau, Anfang 30, kann nur mit dem Kopf schütteln. Sie unterhält sich gerade mit einer Bekannten auf der Straße. „Ich schaffe jeden Tag mein Kind in den Kindergarten. Ich laufe immer an diesem Haus vorbei. Und dann habe ich am Montag erfahren, dass sich so ein Drama abgespielt haben muss“, sagt sie sichtlich fassungslos.

„Ich wohne schon sehr lange in Winzerla. Eigentlich lebt es sich ganz ruhig. Natürlich gab und gibt es wegen Alkohol mal eine Prügelei. Aber so etwas? Nein, das kannten wir bisher nicht“, erklärt ein Mann, der schräg gegenüber des Hauseinganges wohnt. Seine Frau hatte vom Balkon aus verfolgt, wie am Montag immer mehr Einsatzkräfte der Feuerwehr und der Polizei anrückten.

In einer anderen Straße sind am Dienstagmorgen Kriminalpolizisten beschäftigt. In der dritten Etage wohnte der getrennt lebende Ehemann und mutmaßliche Täter. Ein Bewohner des Blocks verfolgte das Geschehen am Montagabend von seinem Küchenfenster aus. „Erst waren es zwei Polizisten, die vor der Tür standen, dann drei. Ich hatte gerade mein Enkelkind von ihrem Training nach Hause gebracht, da standen die Uniformierten schon vor dem Hauseingang.“

Mutmaßlicher Täter von Jena war vor der Beziehungstat zwei Tage nicht auf Arbeit

Auch der Ortsteilbürgermeister Friedrich-Wilhelm Gebhardt ist fassungslos angesichts der Tat. „Als ich die Nachricht gehört habe, ist mir das nahe gegangen. Was muss in einem Menschen vorgehen, der dies als letzten Ausweg sieht?“

Gebhardt, der Leiter des Stadteilbüros, Markus Meß, sowie die Pastorin Friederike Costa und Christine Karnapp von der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde suchen am späten Nachmittag den Tatort auf und legen Rosen nieder. Die Frauen wollen mit Anwohnern ins Gespräch kommen, denn die Tat habe viele Menschen in Winzerla schockiert und ratlos zurückgelassen.

Am Dienstagnachmittag sind weitere Details des Verbrechens bekannt geworden: Eine Mitarbeiterin des Jenaer Universitätsklinikums meldete ihren Kollegen, den mutmaßlichen Täter, als vermisst, nachdem dieser zwei Tage unentschuldigt auf der Arbeit fehlte.

Die Polizei ließ daraufhin die Wohnung in der obersten Etage eines Fünfgeschossers an der Ernst-Zielinski-Straße öffnen und entdeckte die Leichen: Die mit einem Messer erstochene Ehefrau (25) des mutmaßlichen Täters sowie ihren neuen Lebensgefährten (43).

Beziehungstat in Jena: Kohle in Wohnung entzündet

Der 38-Jährige und sein drei Wochen alter Sohn starben offenbar an den Folgen einer Rauchgasvergiftung. Wie die Polizei auf Anfrage bestätigte, habe der mutmaßliche Täter in einem Behälter Holzkohle entzündet und vorher Fenster und Türen verschlossen. Warum der Rauchmelder nicht anschlug oder ob zum Beispiel die Batterien vorher ausgebaut wurden, blieb unklar.

Die Leichen des Babys, der Frau und der beiden Männer - alles deutsche Staatsangehörige - wurden am Dienstag in der Rechtsmedizin in Jena untersucht. Ergebnisse wurden vorerst nicht bekannt.

Die Polizei erhofft sich, die Tatzeit klären zu können und die Frage zu beantworten, ob und wie viel Zeit zwischen den Messerstichen und der Rauchgasvergiftung verging. Kriminalisten waren die ständig im Einsatz: Am Tatort und in der Wohnung des mutmaßlichen Täters. Die Orte liegen lediglich fünf Gehminuten auseinander.

Die Erwachsenen waren berufstätig, wobei sich die junge Mutter im Babyjahr befand. Der mutmaßliche Täter war für die Polizei ein bislang unbeschriebenes Blatt: Einsätze wegen häuslicher Gewalt habe es in der Vergangenheit nicht gegeben, bestätigte die Polizei.

(Dieser Text erschien zuerst in der Ostthüringer Zeitung)