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Benachteiligte Kinder Benachteiligte Kinder: Mutprobe mit Brennnesseln

Von Kerstin Metze 07.07.2006, 16:41

Peißen/MZ. - Ihre Betreuerinnen nutzen derweil ein schattiges Plätzchen unter einem Blätterdach zu einem Erfahrungsaustausch mit der stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Jutta Kiegeland.

"Das Erlebnis mit den Kindern haben wir uns ausgedacht, um einmal auf ganz besondere Weise auf unseren Verein 'Wir helfen' aufmerksam zu machen", sagt Jutta Kiegeland. "Es liegt uns am Herzen, etwas für benachteiligte Kinder zu tun, und dazu brauchen wir die Erfahrungen derjenigen, die tagtäglich mit ihnen umgehen."

In diesem Fall sind es Ursula Treumer vom Kinderschutzbund, Angelika Schreiber vom Kinderheim "Clara Zetkin" in Halle und Anne-Marleen Müller-Bahlke, die den kulturellen Kinderfreitisch der Franckeschen Stiftungen vertritt. Das Stiftsgut Stichelsdorf ist Bestandteil des Bildungskosmos der Stiftungen. Es hält altersspezifische Angebote zu verschiedenen Themen von Natur und Umwelt bereit. Am Abreisetag ist dann noch Martina Hoffmann, die den Bauhof in den Franckeschen Stiftungen leitet, hinzugestoßen. Sie hat dafür gesorgt, dass die Kinder ihr Gepäck nicht zum Bus schleppen mussten.

Jeweils sechs Kinder aus dem Clara-Zetkin-Heim und von der Freizeiteinrichtung "Blauer Elefant" des Kinderschutzbundes sind mit den Erwachsenen angereist. Während Felix (7) mit seinen Klassenkameraden schon einmal im Stiftsgut Stichelsdorf war und nun den Anführer spielt, brauchen andere wie die siebenjährige Kim ein paar Streicheleinheiten von den Erwachsenen.

Kim ist zum ersten Mal allein von zu Hause weg und sagt "Ein bisschen vermisse ich die Mutti." Spätestens, als sie die hölzerne Waldorgel zum Klingen bringt, beim Weitsprung fast drei Meter wie ein Feldhase schafft und zum Abendbrot bei den Pellkartoffeln tüchtig zulangt, ist das Heimweh vergessen. "Es ist schon interessant zu sehen, wie die Kleineren mit den Größeren zurecht kommen und wie sich die beiden Sechser-Gruppen mischen", sagt Angelika Schreiber. Fabio (5), Felix (7), Leon (11) und Lisa (12) finden es toll, einmal zusammen in einem Zimmer zu übernachten. Die Geschwister leben zusammen im Kinderheim, schlafen dort aber getrennt.

Ein nächster Anknüpfungspunkt zum Fachsimpeln ergibt sich für die Begleiterinnen im Kräuter- und Gemüsegarten. Es geht um die gesunde Ernährung. "Kaum ein Kind kennt heute noch Rhabarber oder Mangold", weiß Anne Müller-Bahlke aus ihrer Arbeit im "Krokosseum" der Franckeschen Stiftungen. Und auch den kleinen Gästen im Stiftsgut fällt außer Schnittlauch auf eine Frage nach essbaren Kräutern zunächst nichts ein.

Später, beim Spaziergang mit der Kräuterfee Ines Sandner, sperren sie Mund und Nase auf: Was wächst nicht alles Leckeres und Gesundes in der Natur! Flugs wird hier und da, wo es erlaubt ist, genascht, sind einige Blüten und Zweige geerntet. Sie werden später unter Quark und Butter gerührt und mit Pellkartoffeln verspeist. Selbst der ungefährlichen Mutprobe mit Brennnesseln will sich niemand verschließen.

"Ach, wenn die Eltern doch nur sehen könnten, wie viel Spaß die Kinder an den Kräutern und auch am gemeinschaftlichen Essen an der bunten Tafel haben", wünscht sich Ursula Treumer. Sie bedauert, dass noch viel zu viele Eltern den Mahlzeiten ihrer Kinder kaum die nötige Aufmerksamkeit schenken.

Als die Kinder nach einem aufregenden Wochenende wieder in Halle ankommen, ist Jutta Kiegeland hoch zufrieden. "Es war ein tolles Erlebnis, in solch glückliche Kinderaugen zu sehen", sagt die stellvertretende Vereinsvorsitzende.

Die Tage haben ihr bewiesen, dass sich der Verein "Wir helfen" richtigerweise benachteiligten Kindern zuwendet. Sie ist dankbar für die großzügige Hilfe, die die Franckeschen Stiftungen ihr haben zuteil werden lassen, und für die wertvollen Erfahrungen, die sie mit den Erzieherinnen ausgetauscht hat.