Analyse Analyse: Unterschicht hat in Großbritannien Tradition
London/dpa. - Heute gibt es für die Menschen am unteren Rand der britischen Gesellschaft natürlich eine Abkürzung. Man nennt sie die Neets: no employment, no education, no training (keine Arbeit, keine Schulbildung, keine Ausbildung).
Trotz des Wirtschaftsbooms der vergangenen Jahre leben in Großbritannien derzeit rund elf Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze - haben also weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung. Davon sind 3,4 Millionen Kinder. Auch wenn sich unter der Labour-Regierung von Premierminister Tony Blair einiges getan hat, trägt Großbritannien immer noch die Züge einer Klassengesellschaft: Soziale Unterschiede spielen eine größere Rolle als in anderen westlichen Ländern.
Auch der Wohlstand ist im Land der Queen extrem ungleich verteilt. Ein Prozent der Bevölkerung besitzt 23 Prozent des Vermögens. Bei anderen Sozialindikatoren liegt Großbritannien im internationalen Vergleich ebenfalls zurück. Beispielsweise ist der Anteil der Analphabeten höher als in den meisten anderen Industrienationen: Nach einer UN-Statistik können sieben Millionen erwachsene Briten nicht richtig lesen. Auch die Zahl der Teenager-Schwangerschaften von Mädchen unter 18 Jahren (2004: 50 700) liegt über dem internationalen Durchschnitt.
Traditionell können sich sozial schwache Briten weniger auf den Staat verlassen als anderswo. Eigenverantwortung wird seit jeher größer geschrieben als auf dem europäischen Festland - den Begriff «Vater Staat» gibt es in der englischen Sprache nicht. Stattdessen ist abwertend vom «Nanny State» die Rede - einem Staat, der seine Bürger wie ein Kindermädchen behandelt. Daran hat sich auch in den nun fast schon zehn Jahren Amtszeit von Tony Blair nichts geändert.
Seit der Regierungsübernahme von New Labour wird aber deutlich mehr Geld in Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser investiert. Dafür müssen die Briten aber auch deutlich mehr Steuern und Abgaben zahlen. Vieles kommt den sozial Schwachen zugute. Zugleich geht die Regierung mit einer Reihe von Maßnahmen wie «Bürgerschaftsunterricht» an den Schulen oder einem niedrigen Straffälligkeitsalter gegen unsoziales Verhalten vor.